August Bleier (1882 – 1958)

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Dr. Karlheinz Lipps
Friedrich-Wilhelm-Straße 42, 12103 Berlin

Pazifist und Religiöser Sozialist

In der Zeit der Weimarer Republik zählte Bleier zu den wichtigen Vertretern des Pazifismus und Religiösen Sozialismus und unterschied sich damit deutlich von vielen anderen Geistlichen Deutschlands.

Werdegang

Bleier stammte aus einer Pfarrersfamilie und studierte Evangelische Theologie in Halle/Saale, Tübingen sowie Bonn. Nach seiner beruflichen Tätigkeit in Gemeinden des Rheinlands wirkte er von 1915 bis 1953 als Pfarrer an der Trinitatiskirche in Berlin-Charlottenburg. Anfang 1918 trat Bleier der Losen Vereinigung evangelischer Friedensfreunde und Ende dieses Jahres der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei bei. Im Jahre 1920 schloss sich Bleier der SPD an. Von 1920 bis 1923 leitete der Geistliche die Berliner Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft. Der Demokrat, Pazifist, Religiöse Sozialist und Antifaschist stieß in seiner Gemeinde auf reaktionäre Gegner, die ihn – allerdings vergeblich – aus dem Amt zu drängen versuchten, besonders nach 1933. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs leitete Bleier von 1946 bis 1952 den Wiederaufbau von Trinitatis.

Pazifist

Bereits im Oktober 1917 unterzeichnete Bleier den Friedensaufruf seines damaligen Kollegen Karl Aner. Diese friedenstheologische Resolution erregte weit über Berlin hinaus großes Aufsehen. In der Zeit der Weimarer Republik sprach sich Bleier gegen die Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht und für die Kriegsdienstverweigerung aus. Der Friedenspfarrer kritisierte die religiöse Verherrlichung von Gewalt, Krieg und Militarismus. Hass und Rache müssten, so Bleier, durch Liebe und Versöhnung überwunden, die Todesstrafe abgeschafft werden. Im Dezember 1919 unterzeichnete er eine Resolution, die eine deutliche Reduzierung der Reichswehr forderte und vor einem Putsch monarchistischer Frontsoldaten warnte – eine prophetische Warnung angesichts des Kapp-Putschs vom März 1920.

Im Jahre 1922 verurteilte Bleier die Ermordung des jüdischen Außenministers Walter Rathenau durch Rechtsradikale. Im gleichen Jahr unterzeichnete er einen Aufruf der Französischen und Deutschen Liga für Menschenrechte zur Verständigung und Aussöhnung. Der Pazifist wollte dem Revanchismus entgegentreten, indem er auf die Zerstörungen während des Ersten Weltkriegs in Belgien (ein neutrales Land) und Frankreich durch die deutsche Armee hinwies. Deutschland habe eine moralische Pflicht zur Wiedergutmachung.

Besonders die Ursachen und Folgen des preußisch-deutschen Militarismus sollten analysiert werden. „Diesem Ungeist den Krieg zu erklären, ihn zu geißeln in scharfen Worten und ihm Widerstand entgegenzusetzen durch die Tat, ist nationale Pflicht, Liebe zum und im besten Sinne Dienst am Volke, ganz im Sinne der großen Propheten Alt-Israels, die darin ihre prophetische Aufgabe erblickten, gegenüber allem Siegestaumel, nationalistischem Dünkel ihre warnende Stimme zu erheben, trotzdem sie deshalb als Landesverräter gebrandmarkt und des Landes verwiesen (Amos) oder gekreuzigt wurden (Jesus)“ (Bleier, Die neue Gesellschaft, S. 14).

Am 19. August 1926 wurde die Gruppe Revolutionärer Pazifisten gegründet, die ganz auf Kurt Hiller zugeschnitten war. An der konstituierenden Sitzung nahmen u.a. Kurt Tucholsky, Helene Stöcker und August Bleier teil. Zentrale Aspekte dieser Friedensorganisation umfassten u.a.: allgemeine Abrüstung und Abschaffung jeglicher Militärverbände, Abschaffung der Allgemeinen Wehrpflicht, Umgestaltung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung als Ursache von Kriegen durch eine soziale Revolution.

Religiöser Sozialist

Zum einjährigen Jubiläum der Novemberrevolution formulierte der Charlottenburger Pfarrer seine religiös-sozialistische Position: „Denn echte christliche Religion ist revolutionär, umwälzend […] darum Revolution gegen die Lüge, daß das Privateigentum als solches heilig sei, dass das Geld an sich ein Segen sei, dass Macht vor Recht gehe, Kampf gegen die mammonistische Gesinnung, den Privatprofit, die Knechtung der Menschen unter das Geld, unter die Verhältnisse […]

Lasst Euch nicht wieder von dem gottlosen Kriegs-, Hass- und Revanchegeist erfüllen, der Sedanfeiern und Schlachttage religiös zu weihen wagt. Maschinengewehre und Handgranaten segnet. Vereinigt Euch mit uns zu einem Friedenssonntag, wo der Protest erklingt gegen Gewalt und Rohheit und das Weihnachtsevangelium ‘Friede auf Erden’ alle, die guten Willens sind, fortreißt in revolutionärer, religiöser Leidenschaft!

Das ist das Eine. Das Andere aber ist dies: Tretet auf gegen die verwüstende Propaganda des Rassenhasses! Seid Revolutionäre auch gegen den Rassenhass! Wer Antisemit ist, kann kein Christ sein!“ (Neuwerk, 1919/20, S. 543f.)

Bleiers Jesus-Bild ist typisch für die religiös-sozialistische Bewegung. Jesus „stand gegen die Reichen, auf Seiten der Armen. […] Er sah vor sich die Masse all der Unglücklichen, die erstickten im Geldsystem, in dem Moloch, der alles frisst, der die Menschen zu unersättlichen Bestien macht, dass sie nur noch Raffgier kennen, dass sie nur noch sich selbst durchsetzen, auch wenn es über Berge von Leichen geht, auch wenn sich an ihr Glück das Blut und die Angstschreie der Ausgeplünderten hefteten, und deshalb sein Hass gegen diese Ordnung […]“ (Bleier, Die neue Gesellschaft, S. 8.).

Für den Charlottenburger Pfarrer sind Religion und Sozialismus untrennbar verbunden: „Je sozialistischer die Religion wirkt, je mehr der Sozialismus Religion wird, um so stärker, um so tiefer wird die neue Kultur. Echte Religion ist Sozialismus, Kampf gegen Kapitalismus, gegen die Knechtung des Menschen durch das Geld, den Besitz; Hunger nach Menschlichkeit, Erlösung vom Menschenmord des Krieges; Lebensgemeinschaft freier Menschen und freier Zuneigung, in Vertrauen, Solidarität, gegenseitiger Hilfe, Verbrüderung aller Menschen guten Willens in allen Völkern und Rassen“ (Sozialistische Monatshefte, Jg. 1922, S. 178).

Vereinigung der Freunde von Religion und Völkerfrieden

Im Jahre 1921 wurde die Vereinigung der Freunde von Religion und Völkerfrieden (VdF) gegründet, die ganz auf Bleier zugeschnitten war. Die VdF kritisierte den Krieg als Mittel der Politik und das Gebaren militaristischer Theologen. Ab dem 2. März 1922 gehörte die VdF dem Deutschen Friedenskartell an. Die Bedeutung innerhalb dieses pazifistischen Dachverbandes muss eher als gering angesehen werden.

Ab 1925 war die VdF stark im Gemeindekirchenrat von Trinitatis vertreten. Durch Kartellverträge und Doppelmitgliedschaften gehörten VdF und der Bund der religiösen Sozialisten Deutschlands eng zusammen.

Von 1926 bis 1933 erschien elfmal im Jahr Der Weltfriede. Organ der Vereinigung der Freunde von Religion und Völkerfrieden, redigiert von Bleier. Diese Zeitschrift, die wenige Seiten im DIN A4 Format umfasste, publizierte u.a. Passagen aus sozialistischen und pazifistischen Organen. Abdrucke aus konservativen Presseorganen dienten Bleier zur Demaskierung militaristischer Strukturen in der Kirche und Gesellschaft. Stets hatte der Friedenspfarrer die internationale Dimension des Pazifismus im Blick. So publizierte er Friedensstimmen aus England und Frankreich sowie von Gandhi.

Feierstunden

Mit den „Feierstunden“ gestaltete Bleier von 1922  bis 1933 eine spezifische, religiös-sozialistische Form des Gottesdienstes. Diese fanden meistens am Sonntag um 18 Uhr statt, waren themenbezogen und erfuhren eine besondere musikalische Umrahmung. Mitunter mussten diese Feierstunden wegen Überfüllung außerhalb der Kirche übertragen werden. Bei einer Solidaritätsaktion Bleiers für den revolutionären Schriftsteller Ernst Toller kamen ca. 1.500 Menschen aus ganz Berlin. Zu Bleiers Konfirmandenunterricht wurden auch Kinder aus anderen Berliner Kirchengemeinden angemeldet.

Im Sinne einer sozialistischen Lebensgestaltung propagierte Bleier eine vegetarische Ernährung und warnte deutlich vor den Gefahren des Alkohols.

Nationalsozialismus

Mit dem Aufstieg der NSDAP kritisierte Bleier die Anfälligkeit großer Teile des Protestantismus für diese Partei. Das Jahr 1932 und die Kirchenwahlen der Altpreußischen Union standen für den religiös-sozialistischen Pfarrer im Zeichen der Abwehr des deutschen Faschismus. An der Trinitatiskirche errangen die Deutschen Christen 42,2 %, die Liberalen errangen 30,9% und die Gruppe Bleier kam auf 26,7%. Am 8. März 1933 hielt die VdF ihre letzte Jahresversammlung ab. Der für den 14. März geplante Vortrag Bleiers über Christentum und Marxismus (Anlass war der 50. Todestag von Karl Marx) wurde wegen der neuen politischen Lage abgesetzt. Stattdessen referierte Bleier über die Malerin Paula Modersohn-Becker. Diese Veranstaltung, die 80 bis 100 Personen anzog, wurde von der SA aufgelöst.

Im März und April fanden bei Bleier mehrere Hausdurchsuchungen statt. Am 31. März veranstaltete der Pfarrer die letzte Feierstunde. Im April erschien die letzte Nummer von Der Weltfriede und am 19. Juni erfolgte die Zwangsauflösung der religiös-sozialistischen Gruppe Bleier in der Trinitatisgemeinde.

Die eingereichten Beschwerden von konservativer Seite gegen Bleier, die es schon in der Weimarer Republik gab, wurden durch die Deutschen Christen fortgesetzt. Dieser Druck blieb nicht folgenlos. In seinem Bericht vom 26. Mai 1933 an das Konsistorium versicherte Bleier, sich nun verstärkt um die Seelsorge zu kümmern und kritisierte den Marxismus der SPD. Auf Drängen von Bleiers Frau Marie, einer überzeugten Nationalsozialistin, musste der Sohn Hans 1937 der NSDAP beitreten. Die Ehe wurde im Februar 1946 geschieden.

Seiner Kritik am Antisemitismus des NS-Staates blieb Bleier auch während des Zweiten Weltkrieges treu. So beerdigte er am 30. Januar 1940 und am 14. März 1942 zwei jüdische Menschen. Auf einer Pfarrkonferenz am 24. September 1941 sagte Bleier, dass jüdische Personen ohne Einschränkungen an Gottesdiensten teilnehmen könnten.

August Bleier starb am 12. Januar 1958, sein Tod fand in der Berliner Presse ein breites Echo.

Quellen und Literatur:

Bleier, August: Die neue Gesellschaft, Charlottenburg 1924

Lipp, Karlheinz: Berliner Friedenspfarrer und der Erste Weltkrieg. Ein Lesebuch, Freiburg i. Br. 2013

Ders.: Religiöser Sozialismus und Pazifismus. Der Friedenskampf des Bundes der religiösen Sozialisten Deutschlands in der Weimarer Republik. Pfaffenweiler 1995

Ders.: August Bleier, in: Demokratische Wege. Deutsche Lebensläufe aus fünf Jahrhunderten. Ein Lexikon, hg. von Manfred Asendorf und Rolf von Bockel, Stuttgart, Weimar 1997, S. 58f.

Manrique, Matthias: Trinitatis im Wandel der Zeit 1896-1961, Berlin 1992

Neuwerk 1919/20

Peter, Ulrich: Der ‘Bund der religiösen Sozialisten’ in Berlin von 1919 bis 1933, Frankfurt a. M. 1995

Sozialistische Monatshefte 1922

Wolfes, Matthias: August Hermann Johannes Bleier, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Band XVIII, Herzberg 2001, Sp. 180-190

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