Christoph Knack
Bleichstraße 4, 67227 Frankenthal
Ein persönlicher Zwischenruf zur Diskussion um die Zukunft unserer Landeskirche
Homburger Modell, Stellenbudget, Pfarrgehälter, Zukunft mit Konzept? Seit ich im Pfarramt in unserer pfälzischen Landeskirche tätig bin – bald sind es vier Jahre – ist unsere Kirche mit sich selbst und ihren Strukturen beschäftigt. Ohne Zweifel ist das unumgänglich angesichts großer Umbrüche und Abbrüche in der Volkskirche; und es wurde in der Vergangenheit manches offensichtlich zu lange aufgeschoben. Andererseits empfinde ich die aktuelle Stimmungs- und Gesprächslage in unserer Kirche oft als bedrückend. Ich vermisse die Diskussion einiger dringender Zukunftsfragen. Ich möchte einige Punkte kurz anreißen, ohne einfache Lösungen präsentieren zu können. Wenn ich durch Zuspitzung zu konstruktivem Streit anrege, dann ist meiner Meinung nach schon viel erreicht. Denn…
1. Es fehlt an theologischem Streit in unserer Kirche.
Vielleicht haben sich kirchenpolitische Gräben von einst überholt. Die letzte große inhaltliche und nicht strukturpolitische Kontroverse in unserer Kirche war die Frage nach dem Umgang mit Homosexualität. Haben wir uns seitdem theologisch nichts mehr zu sagen?
Über die Frage, auf welche Weise das Evangelium in der heutigen Situation formuliert werden muss und welche Konsequenzen diese frohe Botschaft für unser kirchliches Handeln und unser gesellschaftliches Engagement hat, habe ich seit Studium und Ausbildung in keinem kirchlichen Gremium mehr gestritten!
Ich will ein paar Themen nennen, die es vielleicht lohnen würden: Pflegen wir in der Pfalz nicht allzu sehr eine didaktische Engführung des Christentums? Das Strategiepapier der Landessynode vom Mai beispielsweise spricht in bezeichnender Weise von Begleitung von „Lernprozessen“ und vom reformatorischem „Bildungsauftrag“ als Aufgabe unserer Kirche. Religionspädagogisch sind wir in der Pfalz traditionell gut aufgestellt: in der Ausbildung, bei Schulpfarrstellen etc.
Aber damit allein wird die Herausforderung nach geistlicher und seelsorgerlicher Beheimatung von Menschen nicht abgedeckt. Welche Rituale, welche geistlichen Botschaften ermutigen und stärken die Menschen heute – gerade auch die, die in der Kirche arbeiten? Wie erreicht unsere Kirche wieder eine Ausstrahlung, die mehr ist als die einer Werteagentur mit historischem Selbstbewusstsein? Wie reagieren wir als Kirche auf den Markt weltanschaulicher Angebote – zwischen Fundamentalismus und Relativismus? Zu diesen Fragen gibt es doch hoffentlich kontroverse Meinungen, die es lohnt ins Gespräch zu bringen!
Von vielen Kolleginnen und Kollegen weiß ich, was sie in ihrer Arbeit belastet (und kann es nur zu gut nachvollziehen). Was uns gemeinsam trägt und wie es wieder mehr zu Geltung kommen könnte, darüber höre ich kaum etwas. Eine seltsame Sprachlosigkeit in religiösen und existentiellen Fragen verbreitet sich mitten in unserer Kirche.
2. Es fehlt an innerkirchlicher Solidarität.
Als geradezu skandalös habe ich in jüngster Zeit die Diskussion um die Pfarrgehälter erlebt. Wie kann es sein, dass eine Kirche, die in die Gesellschaft gern Aufrufe zu Solidarität sendet, nach innen diese Solidarität in keiner Weise lebt? Warum hat noch niemand ausgerechnet, wie viele Pfarrstellen (und seien es nur sehr wenige) mehr erhalten bleiben könnten, wenn Einschnitte solidarisch getragen würden – vor allem in den höheren Gehaltsstufen (inklusive der Pensionäre)? Einige Berufsanfänger mit den niedrigsten Einkommen haben ihre Bereitschaft zu finanziellen Einschnitten erklärt – warum nicht viel mehr der Kolleginnen und Kollegen, die von den „fetten Jahren“ profitiert haben und noch profitieren?
In Zeiten, in denen nicht mehr über die Verhältnisse (ökonomisch und ökologisch) gelebt werden darf wie bisher, könnte Kirche modellhaft solidarisch mit den neuen Herausforderungen umgehen. Nichts davon ist derzeit bei uns zu spüren.
Innerkirchliche Solidarität, die über den eigenen Kirchturm hinausgeht, vermisse ich aber auch bei vielen Diskussionen um mehr Zusammenarbeit zwischen Gemeinden. Und ich beobachte mit Sorge, dass in Presbyterien, Pfarrkonventen und kirchlichen Gruppen die Neigung zu übersteigertem Individualismus („Ich engagiere mich nur für meine Nische und Spielwiese“) nicht viel geringer ausgeprägt ist als im Rest der Gesellschaft. Einer notwendigen Diskussion darüber, was unsere gemeinsame Mission und Vision für die Zukunft ist, wird dann lieber ausgewichen.
3. Ohne Streit und Solidarität geht der Pfarrberuf kaputt
Zu keiner Zeit war der Einstieg in die Arbeit als Pfarrer oder Pfarrerin einfach. Aber in meiner Generation (und nicht nur da) beobachte ich nach meiner ganz subjektiven Wahrnehmung besonders viel Erschöpfung und Frustration. Ich glaube nicht, dass das daran liegt, dass diese Generation zu verweichlicht oder zu unmotiviert ist! Was früher die Ausstrahlungskraft der Institution Kirche geleistet hat, muss heute mehr und mehr allein von ihren jeweiligen Repräsentanten vor Ort getragen werden. Das widerspricht aber zentral der Kernbotschaften von der Rechtfertigung allein aus Gnade – und nicht aus Werken!
Diesem Widerspruch kann aus meiner Sicht aber etwas entgegen gesetzt werden: nämlich die Entlastung des Gemeindepfarramts von der Überfülle der Aufgaben (mit allem Machtverlust, den das mit sich bringt) und eine praktische Neuentdeckung der reformatorischen Einsichten vom Priestertum aller Gläubigen und vom mehrfachen Amt.
Studien haben gezeigt, dass Menschen, die wieder in die Kirche eintreten, dies überwiegend wegen überzeugender Seelsorge und geistlichen Angeboten getan haben. Wie soll die Kirche mehr Menschen zu einem solchen Schritt ermutigen, wenn ihre Geistlichen immer weniger Zeit für die Menschen haben, weil sie zunehmend mit Haushaltsführung, Fundraising, Gremienarbeit, Gebäudebewirtschaftung und ähnlichen Fragen belastet sind? Nebenbei bemerkt, Theologen sind in unserer hochdifferenzierten Gesellschaft für diese Aufgaben schlicht nicht qualifiziert genug.
Wir haben diesen Beruf gewählt wegen der Theologie – wegen Predigt, Seelsorge und religiöser Bildung. Verwaltung können andere besser. Hier braucht es eine radikale Neuverteilung der Aufgaben – zum Nutzen der Gemeinde! Anderswo funktioniert das bereits: Es gibt protestantische Großkirchen, in denen Pfarrer nicht das Geringste mit den genannten Verwaltungsaufgaben zu tun haben.
Für die funktionalen Pfarrämter und die Leitungsebenen (insbesondere die Dekaninnen und Dekane) ergeben sich sicher nochmals ganz eigene Problemstellungen, zu denen ich aber hier nichts sagen kann.
Von der Kirchenleitung vermisse ich als Berufsanfänger klare solidarische Botschaften, die die Arbeit an der Basis unterstützen, z. B. das Recht auf den Schutz eines festen freien Tages zur Rekreation. Im Pfarrkollegium vermisse ich oft den Willen, gemeinschaftlich auf die Herausforderungen zuzugehen. In der kirchlichen Öffentlichkeit vermisse ich eine deutliche Diskussion über Aufgaben und Grenzen aller Hauptamtlichen, nicht nur der Pfarrerinnen und Pfarrer.
4. Der Anfang einer Zukunftshoffnung?
Ich habe sehr viel davon geschrieben, was ich vermisse. Die erwähnten Mängel haben meiner Identifikation mit Beruf und Kirche seit meiner Ordination erhebliche Risse zugefügt. Ich sehe aber auch die Chance, in einer Zeit anstrengender Umbrüche die orientierende Kraft und Schönheit unseres Glaubens neu zu entdecken. Ich hoffe und glaube es: Wir können wieder lernen, ohne viele Worte von unserer Hoffnung zu sprechen, die Tod und Angst überwindet! Wir haben als geistliche Gemeinschaft die Chance, die unterschiedlichsten Menschen zusammenzuführen. Wir müssen nicht erst die richtigen Strukturen schaffen, um Kirche Jesu Christi zu sein.
Wir sollten uns aber endlich wieder die Köpfe heiß reden über unsere Ängste, Sehnsüchte und Hoffnungen, um dann wieder gelassen und gemeinschaftlich miteinander unseren Glauben zu feiern. Vielleicht werden sich dann manche Strukturfragen am Ende fast von allein lösen.
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