Bildungsarbeit als Essential der Tätigkeiten einer Pfarrerin und eines Pfarrers

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Charlotte Armborstr

Danziger Straße 94, 67659 Kaiserslautern

Vorbemerkung:

»Bildung wird zunehmend einer Kosten-Nutzen-Rechnung unterworfen und scheint nur dann wichtig zu sein, wenn sie wirtschaftlichen Interessen entspricht«(1). Die Kirche im Allgemeinen und unsere Landeskirche im Besonderen befindet sich mitten in diesen Entwicklungen. Auf keinen Fall sollte sie, wie schon einige Male geschehen, unbesehen auf den Zug aufspringen, der gerade in Mode ist. In diesem Statement geht es um das spezifische Angebot und das spezifische Anliegen kirchlicher Bildung im Kontext des Berufs der Pfarrerin und des Pfarrers, die auf keinen Fall wirtschaftlichen Erwägungen geopfert werden dürfen.

Ausgangsthese:

Da Neugier ein Grundtrieb des Menschen ist, ist Bildung in umfassendem Sinne eine seiner elementaren Lebensäußerungen. Wenn Glaube-Kirche-Gemeinde mit dem Leben zu tun haben, dann haben alle drei auch etwas mit Bildung zu tun. Eine Kirche, die beansprucht, für die Menschen und ihre berechtigten Bedürfnisse da zu sein, kann den Bildungssektor, auch auf Gemeindeebene, nicht aufgeben.

Definition:

Rainer Winkel unterscheidet sieben Grundmerkmale des Menschen, die dieser im Lauf seiner Geschichte entwickelt hat: Erziehung / Bildung, Glaube / Religion, Sittlichkeit/ Ethik, Arbeit / Ökonomie, Erkenntnissuche / Wissenschaft, Konfliktregelung / Politik, Kunst / Ästhetik(2). Da die sieben Grundmerkmale des Menschen voneinander abhängen und sich wechselseitig beeinflussen, betrifft die Bildungsarbeit der Kirche auf allen Ebenen alle sieben Bereiche. In der Gesamtgesellschaft wurden und werden nicht immer bei allen Menschen alle sieben Bereiche gefördert, denn je »amputierter« ein Mensch ist, desto leichter ist er von außen zu manipulieren.

Die Notwendigkeit der Bildungsarbeit wird in der Bibel an vielen Stellen bezeugt. Ein Beispiel aus dem AT ist Psalm 1. Dabei war Bildung nie Selbstzweck, sondern diente besonders zur Gotteserkenntnis (Wie soll ich die Gebote Gottes erfüllen, wenn ich sie nicht kenne?) und zur Lebensbewältigung (Wer sich mit dem Gesetz Gottes befaßt, wird zu seiner Zeit FRUCHT [_ Werke!] bringen).

Ein Beispiel aus dem NT ist der Taufbefehl Mt 28, 16-20. Ohne Bildung/Lehre/Predigt gibt es keinen Glauben, keine Taufe, keine christliche Kirche.

Ohne Bildung gäbe es kein menschliches Gemeinwesen, keine Zivilisation, keine Kultur.

Der Inhalt der Bildungsarbeit ist, bezogen auf die Bildungsarbeit der Kirche, nicht beliebig. Ausgangspunkt ist die Einsicht, daß unser Glaube unser Leben prägt. Menschen besuchen Bildungsangebote der Kirche und bringen Lebensfragen und -themen mit. Diese muß Kirche sachgerecht aufgreifen. Aber diese Menschen wollen sich mit der Antwort der christlichen Kirche auseinandersetzen, auch wenn sie sie vielleicht nicht übernehmen wollen und können. So wird es im Bildungsangebot der Kirche auch und vor allem um die Außen- und die Innenansicht des christlichen Glaubens gehen. Diese Innenansicht möchte ich an dieser Stelle auf den Punkt bringen, daß es einen Gott gibt, der sich uns in Jesus Christus offenbart hat und der allein unsere Identität ermöglicht (überall sind wir ersetzbar, bei IHM, der uns erschaffen und erlöst hat, nicht!)(3).

Ein wesentlicher Inhalt der kirchlichen Bildungsarbeit ist der Bildende selbst. Hartmut von Hentig hat dies in Bezug auf die Pädagogik im Allgemeinen auf die Formel gebracht: »Das wichtigste Curriculum des Lehrers ist seine Person.«(4)

Diese bezieht sich auf die grundlegende reformpädagogische Einsicht, daß Lernen ein ganzheitlicher Prozeß ist und keineswegs auf bloße Wissensvermittlung reduziert werden darf. Aus derselben reformpädagogischen Einsicht ist auch das Fach Lebenskunde-Ethik-Religion und die Forderung, Religionsunterricht oder religiöse Bildung sollte von weltanschaulich neutralen bzw. religiös nicht unbedingt gebundenen Personen erteilt werden, abzulehnen.

Zur Form spezifisch kirchlicher Bildungsarbeit: So sehr sich der spezifisch christliche Inhalt der kirchlichen Lehre niemals ändern darf, will Kirche nicht aufhören, heilige christliche Kirche zu sein, so sehr darf Kirche den methodischen Standards ihrer Zeit auf keinen Fall hinterher hinken – im Gegenteil: Hier darf und soll sie avantgardistisch wirken.

Selbstverständlich soll sie alles mögliche Gute von anderen übernehmen (z.B. aus der Pädagogik, der Psychologie, der Ökonomie). Dieses wird ja bereits in vielen Bereichen unserer Landeskirche getan!

Ziele kirchlicher Bildungsarbeit sind u.a.: Freiheit und geistige Unabhängigkeit;

Förderung der Individualität ausgehend von der gottgegebenen Identität des Menschen; Entwicklung mentaler Stärke, mit deren Hilfe der Mensch Schwierigkeiten überwinden kann;

Erkenntnis der Wahrheit (Joh. 8, 31, 32);

Fähigkeit zu (Selbst-)Analyse und (Selbst-) Kritik;

Befähigung zu hilfreichem Handeln, zum Leben in der Welt, zur praktischen Umsetzung von Visionen.

Grundsätzlich gibt es keine bildungsunfähigen Menschen, nur bildungsunwillige, wobei es in jedem einzelnen Fall nach den individuellen Gründen zu forschen gilt. Hier muß der Bildende seine persönliche Grenze akzeptieren (Lk 9,5) und auf die befreiende Macht Gottes vertrauen.

Zur Situation der Bildungsarbeit: Im Artikel 1 (1) GG steht: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.«

Auf der einen Seite birgt die Gesellschaft hier bei uns für die Einzelne und den Einzelnen Chancen, Wege zu gehen, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wären (dieses Jahr feiern wir 40 Jahre Frauenordination in der Evang. Kirche der Pfalz!), da sich traditionelle gesellschaftliche Bindungen (Geschlechterrollen, [Familien]Verbände, Klassen) lockern, auf der anderen Seite ist eine Vielzahl neuer Herrschaftsformen (die Macht der Wirtschaft ist global sehr gewachsen!) und Zwänge (z.B. der Konsumzwang) entstanden, die die Ausprägung einer eigenen Identität erschweren.

Gerade in dieser Situation wird eine Kirche gebraucht, die bei ihrem ureigensten Anliegen bleibt und von der in Gott begründeten Identität des Menschen Zeugnis ablegt.

Schlußfolgerungen für den Pfarrberuf:

Kirche kann auf Volltheologinnen und Volltheologen im Bildungsbereich nicht verzichten. Das gilt sowohl in der Gemeinde (Konfirmandenunterricht, Erwachsenenbildung) als auch gemeindeübergreifend (gesamtkirchliche Dienste) und in der Schule! Ihre besondere Eignung und ihre besondere Chance liegt in ihrer jahrelangen intensiven Auseinandersetzung mit den Grundlagen des christlichen Glaubens, weshalb sie spezifisch christliche Antworten geben und Vorurteile gegenüber dem christlichen Glauben fachgerecht zurechtrücken können (Falls das Gegenüber es zulassen will!). Dies wird auch in den §§ 16-18 unserer Kirchenverfassung deutlich!

Damit Pfarrerinnen und Pfarrer ihren Bildungsauftrag erfüllen können, brauchen sie:

Zeit zur Selbstbildung und zur angemessenen Vorbereitung ihrer Dienste, Arbeitserleichterung durch gutes Material und durch gesamtkirchliche Konzeptionen zu den verschiedenen Bereichen ihrer Bildungsarbeit, die auf der Höhe der Zeit sind und ihnen als Rahmen dienen, innerhalb dessen sie ihren Bildungsauftrag wahrnehmen und Fortbildung.

Die Zusammenarbeit von Volltheologinnen und Volltheologen und Laiinnen und Laien ist ausdrücklich erwünscht und bedarf der sorgfältigen Ausgestaltung.

Anmerkungen:

(1) aus: Die Rheinpfalz vom 08.08.1998

Thomas Birg, Frank Loebs und Cynthia Walther: Lebenslang überflüssig?

(2)Rainer Winkel, Brauchen Kinder Religion?

in: Gee, Erziehen heute, Mitteilungen der Gemeinschaft evang. Erzieher e.V. 1/97, S.4

(3) aus: Dr. habil. Matthias Heesch, Religion und Beruf,

in: Pfälz. Pfarrerblatt 1/98, S.6

(4)in: Rainer Winkel a.a.O. S.8

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