Max Krumbach
Sundahlstraße 1, 66482 Zweibrücken
Vordergründig streiten wir über Finanzen. Die verfasste Kirche lässt sich ihre Diakonie Geld kosten. Was ist unserer pfälzischen Landeskirche und unseren Kirchengemeinden ihre Diakonie wert?
Einer holzschnittartigen Beschwörung der Demographie entspricht eine ebenso holzschnittartige Konzentration auf die Finanzen. Eine Kirche, die weniger Glieder zählt, verfügt über weniger Geld. Beides verschleiert in der kirchlichen Auseinandersetzung über den diakonischen Auftrag unserer Gemeinden eine Fülle von institutionell zu regelnden Sachfragen einerseits und genuin ekklesiologischen Fragen andererseits: Kirche als Unternehmen oder Institution und Kirche als Gemeinschaft des Glaubens.
Wie man die Kosten einer Stelle berechnet, welche Anteile von ihr fremden Kostenstellen auf sie übertragen werden, ist eine kaufmännische Frage. Für sie gelten die Grundsätze der Ehrlichkeit und Redlichkeit, Transparenz usw.
Bei einer klaren Haushaltsführung kann jede und jeder recht schnell erfassen, welche Kosten an welchen Stellen entstehen und wie sie finanziert werden. Diese Aufstellungen sind bei allen Organisationen, die auf Spenden und Zuschüsse Dritter angewiesen sind, notwendig. Sie müssen so einsichtig wie möglich erstellt werden. Wer ein Unternehmen sanieren will, muss die Kosten sauber trennen. Andernfalls spart er am falschen Ende.
Darüber, dass an dieser Stelle alles mit rechten Dingen zugeht, wachen die gewählten VertreterInnen in der Landeskirche und der Diakonie. Dass die notwendigen Verwaltungsvorgänge entsprechend unseren Gesetzen und Vorschriften ablaufen, ist die Aufgabe unserer landeskirchlichen und diakonischen Verwaltungen.
Sollten sich an einzelnen Punkten Fehler wie im Falle der Patronatserklärung, die Oberkirchenrat Dr. Zeidler gegenüber der EKK unterschrieben hat, einschleichen oder sich zu hohe Reibungsverluste ergeben, sind im Verwaltungsbereich die notwendigen Reformen durchzuführen. Oft müssen Vorschriften angepasst, manchmal Gesetze und im äußersten Notfall einzelne Punkte der Kirchenverfassung geändert werden.
Wo reine Verfahrensfragen in den Bereich hinübergleiten, in dem es um Prioritäten geht, spielen genuin ekklesiologische Fragen eine Rolle.
Wer in Bethel oder Neuendettelsau die alten Sprachen gelernt und studiert hat, hat mit der theologischen Muttermilch eingesogen: Diakonisches Handel gehört selbstverständlich zu unserem kirchlichen Alltag.
Nach dem Studium haben wir gelernt, dass ein Netz aus feinen Unterschieden diese Selbstverständlichkeit durchzieht und eine Fülle von Gesetzen und Vorschriften beachtet werden, die die verfasste Kirche und die Diakonie verbinden und unterscheiden, Zuständigkeiten und Einflussnahmen regeln: So ist ein Geflecht wie ein undurchschaubarer Filz entstanden, der für Normalchristen weitgehend undurchschaubar ist und Berufschristen manchmal an ihrem Verstand zweifeln lässt.
Auf diesem Hintergrund haben im Jahr 2012 die entsprechenden Gremien entschieden und der überraschten kirchlichen Öffentlichkeit mitgeteilt, dass aus finanziellen Gründen Stellen abgebaut werden müssen. Das wurde dann wiederholt auf unterschiedlichen Wegen ins Kirchenvolk gestreut. Die finanzielle Begründung war schnell zur Hand. Die sachliche Begründung sind die Entscheider bis heute schuldig geblieben. Ergebnisse einer Prioritätendiskussion wurden weder den Betroffenen noch denen mitgeteilt, die auf diese Dienste angewiesen sind. Ich vermute, dass die Finanzdiskussion die Sachdiskussion abgewürgt hat.
Wo bleiben in diesem Prozess unsere betroffenen Gemeindeglieder?
Die Frage nach den Prioritäten ist aber die, die zuerst beantwortet werden muss, soll die Fahrt nicht im Niemandsland enden. Die Frage nach den Prioritäten ist die schwierigere Frage, weil hier Notwendigkeiten und schmerzhafte Änderungen zur Sprache kommen und gemeinsam ausgehalten werden müssen.
Als bei der Demonstration am 24. November 2012 in Speyer der Landessynode zehntausend Unterschriften – als Anfang – überreicht wurden, sind wohl alle Anwesenden erschrocken. Zehntausend Gemeindeglieder haben ihre Priorität anders gesetzt, als die verantwortlichen Gremien und ihre Vertreter.
Dazu eine kleine geschichtliche Erinnerung. Der gern als Prototyp des protestantischen Bösewichtes genannte Jean Calvin in Genf hat in der Kirchenordnung, Les Ordonnances Ecclésiastiques de l’Église de Genève[1] 1541, vier kirchliche Dienste aufgeführt: Pfarrer (pasteurs), Lehrer (docteurs), Älteste (anciens) und Diakone (diacres). Die Auswirkungen dieser Ordnung auf den kirchlichen Alltag hat Werner Blesch[2] für das Mosbacher Gebiet nachgezeichnet.
In der Auseinandersetzung, die wir zur Zeit um den Erhalt der Beratungsstellen in unserer Landeskirche erleben, spiegelt sich eine in unserer Kirchenverfassung ungelöste Fragestellung. Von Calvins vier Ämtern sind Pfarramt und Presbyteramt übriggeblieben. Alle andere Dienste tauchen unter § 45 auf: Stichwort andere kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Die Diakonie fehlt in der Systematik der Kirchenverfassung. Sie ist dafür ausgegliedert und hat Parallelstrukturen entwickelt, die teilweise rechtlich geregelt, teilweise personal mit der verfassten Kirche in einer Verbindung stehen. Angesichts leerer Kassen ist es eine spannende Frage, ob die Kosten dieser Parallelstrukturen durch rechtliche Änderungen reduziert werden können.
Deutlich kommt das in unserer Landeskirche in der Doppelung zwischen einem zuständigen Oberkirchenrat und einem verantwortlichen Landesdiakoniepfarrer zum Ausdruck. Im Vergleich mit Calvins Kirchenordnung ist dies ekklesiologisch fragwürdig. Es befriedigt höchstens die Ängste vor einem weiteren Oberkirchenrat. Die kostenintensive und unproduktive Doppelstruktur verlangt nach einer Änderung.
Ich halte eine weitere Oberkirchenratsstelle für dringend notwendig und für allemal billiger als das, was sich Landeskirchenrat und Diakonisches Werk gegenwärtig an Reibungsverlusten leisten.
Ergebnis der ekklesiologisch ungeklärten Frage ist der unterschiedliche Umgang in der verfassten Kirche und der landeskirchlichen Diakonie bei den notwendigen Strukturanpassungen angesichts des demographischen Wandels.
Die Grundfrage: Was ist notwendig? Was brauchen wir als Kirche? Was gehört unbedingt dazu? ist ersetzt worden durch die Frage: Was können wir uns leisten? Wofür wollen wir etwas bezahlen? Was soll das Ehrenamt abdecken?
Im Diskussionsprozess waren vor allem die beiden Dienste PfarrerInnen und Älteste/Presbyter einbezogen. Die anderen Dienste unserer Kirche, weil sie verfassungsgemäß irrelevant sind bzw. ekklesiologisch ausgeblendet werden, müssen versuchen über Bittbriefe, Mitarbeitervertretung, Gewerkschaften, Lobbyarbeit usw. ihren Beitrag für das kirchliche Leben zur Sprache zu bringen.
Der gebetsmühlenartig zu hörende Verweis, der Staat müsse die diakonischen Aufgaben übernehmen, wenn die Kirche sie nicht mehr leisten kann, ist einerseits Ausdruck einer inneren Kapitulation angesichts erdrückender finanzieller Lasten, andererseits lehnen wir unseren diakonischen Auftrag als Gemeinde ab.
Möglicherweise war die Portfolioanalyse ein Versuch, die Prioritätendiskussion in den Mittelpunkt zu rücken, um die Götzen Finanzen und demographischer Wandel zu entmythologisieren. Ob wir so unserem Auftrag gerecht werden? Wer weiß?
[1] J. Calvin, Les Ordonnances Ecclésiastiques de l’Église de Genève, in Calvin,Homme d’égliseŒuvres choisies du réformateur et documents sur les Eglises réformées du XVIe siècle), Genève 1971², 27 – 46
[2] W. Blesch, Leben, lieben und bitter leiden. Kultur und Alltag der früheren Menschen im Tal der unteren Elz, Mosbacher Jahresheft 1994, Jahrgang 4, Mosbach 1994