Eckart Stief
Hermann-Hesse-Straße 50, 67663 Kaiserslautern
Joachim Münch, Irit Wyrobnik: Pädagogik des Glücks. Wann, wo und wie man Glück lernen kann, Baltmannsweiler (Schneider) 2010, 170 Seiten, 18,00 Euro
Glück kann man lernen. Um es gleich zu sagen, diese Veröffentlichung ist ein Glücksfall. Dies in einer Zeit, da das Thema „Glück“ neu entdeckt wird, ja geradezu Konjunktur hat – man denke nur an den Bestseller und die Auftritte eines Dr. med. Eckart von Hirschhausens. Glücksratgeber und philosophische Abhandlungen findet man von der Antike bis zur Neuzeit zuhauf – der Ansatz einer „Pädagogik des Glücks“ ist dagegen ein Novum und schließt eine Lücke.
Joachim Münch, Emeritus für Berufspädagogik und Erwachsenenbildung an der TU Kaiserslautern, hat sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigt – im Sommersemester 2008 im Kaiserslauterer Universitätsgottesdienst gar darüber gepredigt. Es ist richtungsweisend für sein pädagogisches Verständnis, dass er es als Glück bezeichnet, im Alter darüber reflektieren und schreiben zu können. Neben wissenschaftlichen, pädagogischen und philosophiegeschichtlichen Aspekten fließen eigene Erfahrungen („Glückserfahrungen“) ein, was das Buch ebenso wie die Tatsache, dass auf störende Fußnoten verzichtet wird, gut lesbar macht. In weiten Teilen wirkt es kurzweilig wie ein frisch formulierter Essay.
Als Koautorin hat Münch die Giessener Erziehungswissenschaftlerin Irit Wyrobnik gewinnen können, die fünf der 18 Kapitel beiträgt. Die beiden haben sich auf einem Glückskongress kennengelernt (Zufallsglück?) und ergänzen sich in der Abhandlung trefflich, wie wohl das Foto auf dem Einband deutlich machen soll. Wyrobnik beschreibt Glück in Kindheit, Grundschulalter und Jugend, in Freizeit und Medienwelt, wobei sie sich klar dagegen ausspricht, Kinder generalisierend als „Tyrannen“ (Winterhoff) zu bezeichnen. Vielmehr fragt sie nach Sozialisationsinstanzen, die für das Glück von Kindern eine Rolle spielen. Glück sei es zum Beispiel, wenn Kleinkinder merken, „dass sie dazugehören“ – in Anbetracht steigender Scheidungszahlen kein lapidar hingeworfener Satz.
Münch selbst zeichnet für die eher theoretischen Überlegungen in den ersten sechs Kapiteln verantwortlich und stellt selbstkritisch gleich zu Beginn fest, dass die Pädagogik bislang das Thema Glück „mit Verachtung“ strafte. Der Bemerkung von Hentigs, Glück sei ein „Märchenwort“, stellt er eine Definition gegenüber, die Glück als Lebensgefühl beschreibt – als Bewusstseinslage der Zufriedenheit von relativer Beständigkeit und damit als Lebensaufgabe, auch unter weniger optimalen äußeren Lebensbedingungen. Weit entfernt von einer Fixierung auf das so genannte Zufallsglück, eben ein „Glück, welches man lernen kann“ (so der Titel des zweiten Kapitels).
Im Zentrum der Ausführungen steht damit nicht die schon auf Aristoteles zurückgehende Überzeugung eines „tugendhaften“ Zusammenhangs von Bildung und Glück, so jüngst wieder Micha Brumlik, sondern vielmehr die erziehungswissenschaftliche und durchaus kontrovers zu betrachtende These, dass es einen „Zusammenhang zwischen Bildungsstand, definiert nach der Dauer des Schulbesuchs, und dem Niveau der Lebenszufriedenheit“ gebe. Ist der bzw. ist die „Gebildete“ glücklicher als der oder die „Ungebildete“?
Münch und Wyrobnik beziehen sich bei der Untersuchung dieser Fragestellung ausdrücklich auf Menschen in Ländern mit einem „entwickelten“ Bildungswesen, keineswegs auf Naturvölker, folglich nimmt die kritische Betrachtung des Bildungssystems einen breiteren Raum ein.
Eine „Schule des Glücks“ sei ein Traum, der allerdings dann Chancen auf Realisierung habe, wenn zum Beispiel das „’Wohlfühlklima’ einer Schul- und Lernkultur (…) auf dem Gestalten und Erfahren positiver Beziehungen zwischen den Lehren und Schülern, aber auch zwischen den Schülern“ gründet. Das mag zunächst nicht ganz so neu klingen. Für „Glück als Schulfach“, wenn schon kein gesondertes Unterrichtsfach (gefordert von Layard, am Beispiel der Heidelberger Willy-Hellpach-Schule hier dargestellt), eigneten sich in besonderer Weise der Religions- und der Philosophie- bzw. Ethikunterricht. Man wünschte sich, mehr darüber zu erfahren.
Die Kapitel „Leseglück in der Kindheit“ (Wyrobnik) und „Arbeit – Stress oder Glück?“ (Münch) verdienen besondere Beachtung. Beide Autoren können hier auf je eigene Untersuchungen zurückgreifen. Zum Thema „Glück im Alter“ gibt Münch drei weise Ratschläge: 1. Neugierde bewahren, 2. keine „Sesselexistenz“ führen, 3. soziale Kontakte pflegen.
Überhaupt wirkt das Buch gegen Ende wie ein praktischer pädagogischer Ratgeber, was es nicht schlechter macht – im Gegenteil. Im vorletzten Kapitel beleuchtet Münch die von ihm so bezeichneten Saboteure des Glücks, die man durch Klugheit vermeiden sollte: Arbeitssucht („ein schlimmes Übel“), Ehrsucht („ein ‚Folterinstrument’“), Geiz („ein schlimmes Laster“), Nachtragen („ein schwerer Ballast“), Neid („ein Quälgeist“) und Ehrsucht („eine ‚quälende Furcht’“).
Wahrnehmen, wertschätzen und bewusst machen – für die Autorin und den Autor bieten diese drei Denktätigkeiten, und zwar immer wieder und in dieser Reihenfolge, die große Chance, Glück als dauerhaftes zufriedenstellendes Lebensgefühl zu erfahren und schließlich auch mit Schicksalsschlägen fertig zu werden. Sie gehören wie „Lieben und geliebt werden“, „Freunde gewinnen und Freundschaften pflegen“, „Neugierig sein und vielfältige Interessen haben“, „Ziele setzen und Grenzen kennen“ und „Aktiv sein und bleiben“ zu den abschließend ausführlich beschriebenen Toren zum Glück.
Die vorliegende Glückspädagogik ist mehr als ein Versuch, sie ist facettenreich, klug geschrieben und für alle informativ, die mit Menschen arbeiten. Das Literaturverzeichnis, gegliedert nach Kapiteln, ist übersichtlich und bietet Hilfe zu Vertiefung und Weiterarbeit. „Glück“ ist in der Pädagogik angekommen.