„Theologie der Mitgliederorientierung“

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Alexander Gemeinhardt M.A. Ernst-Ludwig-Straße 7, 64625 Bensheim

Ksenija Auksutat: Gemeinde nah am Menschen. Praxisbuch Mitgliederorientierung, Göttingen 2009 (Vandenhoeck & Ruprecht), 252 Seiten, ISBN 3-525-69200-4, EUR 24,90

Das „Praxisbuch Mitgliederorientierung“ ist eine theologische Zumutung, da es weit mehr theologische Fragen aufwirft, als es beantwortet.

Schon der Untertitel bezeichnet zwei wesentliche Anfragen: Christinnen und Christen als Mitglieder, nicht als Glieder? Orientierung an den Mitgliedern – nicht an der Schrift? Ksenija Auksutat, Gründerin des Darmstädter Kirchenladens und anschließend erste Referentin für Mitgliederorientierung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, legt mit der Zwischenbilanz ihrer Arbeit ein handfestes Arbeitsbuch für all jene vor, die sich jenseits dieser dringend nötigen theologischen Klärungen der ebenso dringlichen Orientierung an den sich diversifizierenden christlichen und noch-christlichen Milieus widmen wollen. In der Einleitung bezeichnet sie die Mitgliederorientierung denn auch als eine „Haltung“ (9 f.) und grenzt sie deutlich von den inflationären Kirchenreformansätzen ab: „Nichts muss umstrukturiert werden“ (10) – um im Folgenden aufzuzeigen, dass zumindest die theologische und auch empirische Denk- und Wirkrichtung doch entscheidend Anstoß nehmen muss an einer solch konsequenten Wahrnehmung der Gemeinde.

In einer „Theologie der Mitgliederorientierung“ (Kapitel 2) baut die Autorin dabei auf CA VII. Tatsächlich ist in der Confessio Augustana die „Versammlung der Gläubigen“ tatsächlich nicht auf sonntags, zehn Uhr beschränkt. „Gemeinde nah am Menschen“ ordnet die Gemeinde den Menschen zu und nicht umgekehrt. Der Abschnitt bleibt leider erwartungsgemäß übersichtlich, auch die oben gestellten Grundfragen werden nicht weiter hinterfragt. Kritiklose Übernahme ökonomischer Prinzipien oder ein rein methodische Operationalisierung lehnt die Autorin entschieden ab. Wohl aber beschreibt sie die „theologische Herausforderung der kirchlichen Situation“ und den Leidensdruck einer in Teilen partizipationslosen Volkskirchlichkeit (39ff.).

Ausgehend von der Gemeindepraxis (Kapitel 4) benennt das Handbuch seine ökonomischen Anleihen (Kapitel 5), die in der Frage nach der Qualitätsentwicklung münden. Dass dabei profitorientierte Unternehmen weit mehr die Qualität ihrer (nicht heilsnotwendigen) Angebote im Blick haben als kirchliche Angebote die ‚Kommunikation des Evangeliums’, ist eine der banalen und in ihrer Unvermeidbarkeit doch aufrüttelnden Erkenntnisse des Handbuchs. In dieser Konsequenz wirken die Grundsätze für Qualitätsmanagement nach ISO 9001 wie eine Blaupause gelingender gemeindlicher Arbeit (77f.).

Das grundlegende „Handwerkszeug“ (Kapitel 6) der Mitgliederorientierung ist die empirische Erkenntnis: „Daten sind ein Schatz“ (86). Diese alte Erkenntnis pfarramtlicher Tätigkeit wird durch die neuen Potentiale der elektronischen Datenverarbeitung optimiert. Die empirische Grundaufgabe, Bezüge zwischen Daten zu erkennen, zu validieren und Handlungsmaximen zu entwickeln, wird als pastoraltheologische Grundaufgabe wiedererkannt. Die Grundlage bieten die Mitgliedschaftsuntersuchungen der EKD, Sinus-Studien etc.

Spätestens bei der Definition des „Kern(s) der Mitgliederorientierung: Kontakt, Kommunikation, Begleitung“ (Kapitel 7) wird deutlich, dass das Handbuch alte pastoraltheologische Prinzipien in einem neuen Rahmen referiert: Ansprechbarkeit, Wiedererkennbarkeit und Kasualien. Die Schilderung von Praxistipps für Gemeindebüros und Beschwerdemanagement (Kapitel 8 und 9) lässt vermuten, dass die Autorin in ihrer Berufspraxis mittelbare Erfahrungen gesammelt haben muss, die sie (leider) nicht detaillierter verschriftlichen kann… Praxishilfen und Best Practices (Kapitel 10) runden das Werk ab.

Das Buch beschreibt dezidiert evangelische Gemeindesituationen. Liest man es mit konfessionskundlicher Neugier und Phantasie, werden die virulenten Parallelen und Brüche zu den anderen christlichen Konfessionen offenbar: Freikirchliche Praxis, die in ihrem missionarischen Ansatz dem Menschen in seinen individuellen Bedürfnissen zuweilen näher ist, unmittelbarere Finanzierungsmodelle mit stärkeren Bindungsstrukturen und eine im Allgemeinen ausgeprägtere Orientierung an ökonomischen Logiken stechen ins Auge. In Bezug auf die römisch-katholische Kirche stellt sich primär die Frage nach dem handelnden Subjekt, denn die hohen auch personellen Ansprüche, die Auksutat den evangelischen Gemeinden als Handlungsoptionen anbietet, scheinen in der aktuellen personellen Abbruchsituation des deutschen Katholizismus’ unerreichbar.

Das „Praxishandbuch Mitgliederorientierung“ ist eine Zumutung für die Theologie, die einige der Antworten befragen sollte, die dieses Buch – zum Wohle der Gemeinde – aufwirft.

Der Autor ist Geschäftsführer und Öffentlichkeitsreferent des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim.

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