Oder: Glauben und Sport als Ausdruck von Freiheit*
Dr. Hans-Georg Ulrichs
Plöck 66, 69117 Heidelberg
Kreuzen, liebe Festversammlung, lieber Friedhelm Jakob, kreuzen sollten sich die Wege von Kirche und Sport besser nicht, denn einmal gekreuzt geht’s ja wieder im rechten Winkel auseinander. Ich plädiere vielmehr dafür, dass wir lernen gemeinsam zu gehen, ja gemeinsam zu spielen, und dann können wir uns sozusagen auch einmal kreuzweise, nämlich die Bälle zuspielen, uns gegenseitig freispielen, um zum gemeinsamen Erfolg zu kommen. Wir sollten dabei vom Handball lernen, nämlich das Kreuzen üben.
Ich nehme fast an, dass die hier anwesenden Handballer mehr vom christlichen Glauben wissen als die meisten Kirchenleute vom Handball – was schon an sich beklagenswert wäre und durchaus in eine gewisse Demut kirchlicherseits führen könnte. So will ich zum Verständnis kurz aus einem Online-Lexikon zitieren, damit auch die Kirchenleute wissen, worum es sich beim Kreuzen handelt:
„Kreuzen ist als Positionswechselspiel ein wesentlicher Bestandteil der Angriffstaktik im Handball und sollte deshalb bereits im Grundlagentraining gezielt trainiert werden. Das Positionswechselspiel sollte als Auslösehandlung mit einer kreativen sowie variablen Folgehandlung angesehen werden und nicht als ausschließlich gezielt eingesetzte Variante mit vorgegeben Abschluss (Spielzüge). Mit dem Kreuzen soll der Angriff in die Lage versetzt werden, neue Möglichkeiten zu entwickeln … Dabei sollten den Spielern mehrere Optionen als Folgehandlung zur Verfügung stehen. Damit wird neben dem reinen Positionswechselspiel auch die Handlungsschnelligkeit und Entscheidungsfähigkeit der Spieler und Spielerinnen trainiert.
Grundregeln beim Kreuzen:
– kreative und variable Folgehandlungen
– torgefährliche Folgehandlungen
– schnelle und dynamische Aktionen“
[gekürzt aus: http://www.handball-praxis.de/]
Kürzlich habe ich das genau beobachten können. Mein ältester Sohn ist sonst der zentrale Spielmacher der C-Jugend der TS Durlach, der vor allem die Bälle verteilt und überraschend anspielen soll, aber durch Kreuzen hat er einige Tore mehr als sonst erzielt. Er spielt auf den Linksaußen, der seinerseits in die Mitte spielt und dem Ball hinterher läuft – und nun muss der Verteidiger ja mitgehen, weil dort am Kreis sonst eine Überzahl entsteht –, während der zentrale Mittelfeld-Mann dann nach links vorrückt, in der Vorwärtsbewegung angespielt wird und schließlich frei zum Wurf kommt. Nur nebenbei: Ob die Beschreibung eines solchen Spielzuges für Kirchenleute wohl schwerer zu verstehen ist als wenn wir Professionschristen den sogenannten Laien theologische Winkelzüge erklären?
Man merkt, etwas Grips zu haben und rasch (re-)agieren zu können, dabei technisch gut zu sein, schadet auch im Sport nicht – übrigens im Glauben auch nicht.
Nur, so fragen wir, spielen denn Kirche und Sport in einem Team, können sie überhaupt miteinander kreuzen und vom Positionswechselspiel gemeinsam profitieren? Sind sie nicht zu unterschiedlich? Es scheinen doch zahlreiche Differenzen zu existieren:
– Beim Sport kommt es auf den Körper an, beim Glauben doch nur auf die Seele.
– Im Sport zählt die Leistung, im Glauben doch nur die Gnade ohne eigene Leistung.
– Der Sport ist Ausdruck der Freude am Leben, der Glaube vertröstet in diesem Jammertal auf das jenseitige Leben.
Oder?
Es gibt aber auch Übereinstimmungen oder Gemeinsamkeiten von Kirche und Sport: Sport und Kirche bilden die beiden großen zivilgesellschaftlichen Bürgervereinigungen. Zum Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) gehören etwa 27 Millionen Mitglieder, so viel wie auch jeweils die beiden großen Konfessionen an Mitglieder haben. Danach kommt lange nichts mehr (außer dem ADAC). Die größte Partei in Deutschland hat nicht einmal zehn Prozent der Mitglieder allein des DFB. Manche Partei hat im Kreisverband weniger Mitglieder als die Jugendabteilung eines Dorfvereins. Kirche und Sport sind praktisch in jedem Ort präsent, die Kirchen mit dem zusätzlichen Vorteil einer hauptamtlichen akademisch qualifizierten Kraft sowie weiterer Angestellten. Kurzum: Bereits quantitativ, aber auch strukturell und durch die ähnliche Positionierung in unserer Gesellschaft sind Kirche und Sport Partner – oder besser: sollten es doch sein.
Wir werden noch genauer sehen müssen, was eigentlich Kirche und Sport jeweils beabsichtigen. Was ist deren Intention? Gemeinsam sind ihnen jedenfalls schon einmal die Rahmenbedingungen. Sie leben in ein und derselben Gesellschaft. Wovon ist diese Gesellschaft bestimmt, wie tickt sie?
Heute geht’s um a) Produktion und b) Konsum, also um Arbeit/Leistung und Genuss (vgl. Jürgen Moltmann, Ethik der Hoffnung, Gütersloh 2010, S. 108f. et passim).
Wenn diese Gesellschaftsbeschreibung zutrifft, dann haben es beide, Kirche und Sport, heute nicht einfach. Die Menschen sind im Stress, im Leistungsstress oder im Konsumstress. Da bleibt kaum mehr Zeit für bewusste körperliche Bewegung oder/und Hinwendung zu Gott. Und erst recht bleibt kaum noch Zeit für ehrenamtliches Engagement. Die Verantwortlichen in Vereinen und Kirchengemeinden wissen in der Regel, wie schwer es ist, gute ehrenamtliche Mitarbeiter zu finden und bei der Stange zu halten – die zahlreichen Ehrenamtskampagnen belegen ja gerade die Notwendigkeit, um Ehrenamtliche zu werben.
Kirche und Sport – können sie Spielpartner in der Gesellschaft sein? Man muss schon wissen, mit wem man spielt. Also werden wir nicht umhin kommen, nochmals genauer hinzuschauen. Da Sie ja alle wissen, was „Religion“ ist – oder aber weil es theologisch so schrecklich umstritten ist, will ich mich vor allem mit dem Sport befassen und tiefschürfende Definitionen des Religiösen übergehen – da fragen Sie dann bitte ihren Pfarrer oder Professor und achten Sie auf die Nebenwirkungen.
Aber keine Angst, wenn ich als Theologe über Sport rede: Vielleicht kennen Sie das noch von früher oder auch heute noch von manchen kleineren Gruppierungen, die etwa im Sport missionieren wollen. Keine Frage, ich möchte gerne alle möglichen Menschen auf den Glauben ansprechen und insofern auch missionieren, aber wenn ich das Verhältnis von Sport und Kirche beschreibe, dann werbe ich dafür, dass wir verlässliche Partner werden – Partner, die sich gegenseitig wertschätzen, bei denen niemand den anderen bevormundet und bei denen niemand meint, letztlich doch alles besser zu wissen. Aber dieser Respekt muss wirklich beidseitig sein: Die Kirche möge nicht meinen, exklusiv beschreiben zu können, was wahr und gut ist, und ebenso wenig möge der Sport nicht glauben, er sei letztlich alleine für die körperlichen Belange zuständig und stünde anders als die Kirche mitten im Leben. Einen Partner zu unterschätzen ist immer verkehrt – und hinderlich für beide!
In einer Denkschrift zum Verhältnis der Kirchen zur Kultur (1999) hat die evangelische Kirche formuliert, dass Sport zu den kulturellen Leistungen gehört, Kultur aber autonom ist und auch nicht unter die Deutungshoheit der Kirche fällt. Also, keine Angst vor Vereinnahmungen, wenn ich als evangelischer Theologe vom Sport rede. Aber ich darf dann genauso die Sportsfreunde darum bitten, mich als Theologen und Kirchenmann ganz ernst zu nehmen. Ich hatte als Kirche-und-Sport-Funktionär nicht selten den Eindruck, dass der Sport dann nach der Kirche ruft, wenn es um ein wenig ethische Verzierung irgendwelcher Anliegen geht – sonst braucht man die frommen Leute aber nicht wirklich. Lasst uns also ehrlich begegnen, zumal doch auch persönlich so viele Überschneidungen vorliegen: So viele Sportler gehören zu den Kirchen und so viele Kirchenmitglieder sind doch auch beim Sport engagiert.
Vor diesem Hintergrund möchte ich fragen, was Sport und Kirche voneinander lernen können. Wie könnte man Sport beschreiben, was darunter verstehen? Eine Unterscheidung (nicht Trennung!) wäre noch zu machen.
1. Sporttreibende
Ich knüpfe dafür an theologische Überlegungen an. Es gibt natürlich zahlreiche andere. Sport ist, bei motorisch bewusst gezielten Tätigkeiten nach bestimmten Techniken und Regeln zum Sieg zu kommen. Dabei ist Sport dann konvival und agonal (Wolfgang Huber). Sport ist (gemeinsames) Spiel und Wettkampf, ob allein oder in Gemeinschaft. Mal wird mehr der eine Aspekt, dann der andere betont. Damit lassen sich sehr tiefe Erlebnisse machen: Manche Spielzüge aus Ligaspielen meiner Fußball-Jugendzeit stehen mir auch nach dreißig Jahren noch genau vor Augen. Was für intensive Erfahrungen körperliche Art – besonders über diesen Punkt findet Hans Ulrich Gumbrecht zu seinem „Lob des Sports“ (Frankfurt a.M. 2005), ein mitreißendes, kenntnisreiches, aber leider auch sehr kompliziertes Buch zum Sport.
2. Sportkonsumenten
Sport kann unglaublich emotional ansprechen: Noch heute sehe ich genau vor mir, wie kurz vor Schluss die Russen, die damals noch Sowjets hießen, verwarfen und die deutsche Handballnationalmannschaft im Gegenangriff traf und damit 1978 in Kopenhagen Handballweltmeister wurde – einer der Spieler, die dann Vlado Stenzel mit Pappkrone auf dem Kopf triumphal durch die Halle trugen, war Heiner Brandt, den auch heute alle kennen, weil er ebenso als Trainer Weltmeister wurde; ein anderer war Joachim Deckarm, der dann später so tragisch verunglückte.
Wenn wir auf unsere religiöse Praxis blicken, können wir dann auch solche unmittelbaren Erfahrungen mit jahrzehntelanger Wirkung wiedergeben und emotional wiedererleben? Natürlich kann ich nicht mehr alle Spiele aus der C-Jugend erinnern, aber viele Gottesdienste habe ich bereits montags mental wieder abgestreift. Von der Emotionalität und Körperlichkeit des Sportes lässt sich sicher vieles lernen.
Sport, wie bereits erwähnt, wird zum ersten Mal als autonome Kultur gewürdigt in „Gestaltung und Kritik“, der EKD-Denkschrift von 1999. Sport kann gut gestaltet werden in naturaler, personaler und sozialer Dimension. Aber es existieren auch entsprechende Verkehrungen, ja Perversionen: Das Soziale kann überschattet werden von Gewalt (keine gute Kommunikation zwischen den Beteiligten, keine positiven Beziehungen); das Personale kann verdunkelt werden von einem Kult des Siegens, des Siegenmüssens, und das Naturale kann umschlagen in einen Körperkult, der die Leistungsfähigkeit des Körpers alleine anstrebt und darin auch eine Bereitschaft weckt, sich Vorteile durch unlautere Mittel und Methoden zu erschleichen – solange es nicht herauskommt.
Mir wird hier eigentlich zu schnell aus einer – möglicherweise als überlegen empfundenen – Perspektive kritisiert und die Perversionen fokussiert. Aber: Zeigt nicht die Dopingproblematik, dass der Sport und seine Ideale tatsächlich stark gefährdet sind? Sport könnte irgendwie ja gut sein, aber derzeit wird er von innen heraus zerstört – dieser Eindruck scheint sich vielen Zeitgenossen aufzudrängen. Wer mag noch Radsport sehen, wer die doch eigentlich so sympathische Claudia Pechstein?
Wenn man den Ist-Zustand des Sportes beschreiben will, dann wird man m.E. zunächst einmal sehr viel Gutes über den Sport zu berichten haben, bevor man zu Problemen kommt. Richtig viel Gutes: Man wird zu berichten haben über die Freude, die die Millionen von Sporttreibenden genießen, über das selbstlose Engagement so vieler Ehrenamtlicher und vieles andere mehr. Kritisch sehe ich, wie der Sport, gerade auch der organisierte Sport mit gesellschaftlichen Erwartungen überfrachtet wird. Er soll gesundheitspräventiv, integrativ, sozial und noch anderes mehr wirken. Soll der Sport schaffen, was die Gesellschaft insgesamt nicht bewältigt? Gewiss kann der Sport für die Gesellschaft Funktionen übernehmen, er kann aber nicht die Reparaturwerkstatt für alles sein. Im politischen Tagesgeschäft erhebt der Sport leider selber allzu oft diese Ansprüche und schürt dann natürlich auch große Erwartungen etwa von Seiten der Politik.
Zu Problemen kommt man dann auch schnell: Alle sind sich einig, dass der Sport erzieherisch wertvoll und charakterbildend ist, besonders Mannschaftssportarten wg. der Regeln, der Kommunikation, der Disziplin etc. Aber als ich als C-Jugendlicher nach einem Foul wieder aufsprang und einen sehr überflüssigen Schritt auf den Gegenspieler zumachte, der mich dann leicht berührte, woraufhin ich wie von einem Faustschlag getroffen zu Boden sank, wurde es allgemein hin als Cleverness angesehen, dass ich für eine Rote Karte für den Gegner gesorgt hatte und wir dieses Spiel gewinnen konnten. Von Fälschungen in den Spielerpässen im Jugendbereich etc. muss ich an dieser Stelle gewiss nichts sagen. Derartige Betrügereien sind allzu bekannt.
Kurzum: Sport hat die Anlage, viel Gutes zu bewirken, ist aber noch nicht gut an sich, sondern muss gestaltet werden, braucht eine Ethik, eine Handlungsorientierung. Wer aber den Sport in Bausch und Bogen verteufelt, der schaue sich unsere Gesellschaft an und fege zunächst einmal vor seiner eigenen Türe. Ich bin gespannt, wer da den ersten Stein zu werfen sich getraut.
Woher nun bekommt der Sport seine Orientierung? Braucht es dafür nicht doch Religion? Muss der organisierte Sport nicht doch immer wieder einmal nach den Kirchen rufen, um sich der Werte zu vergewissern? – Nein, denn jedes System kann eigene Regelungsmechanismen aufbauen. Beim Sport ist es die Fairness. Der Begriff und die Sache stammen aus dem englischen – akademischen – Bürgertum des späten 18. Jahrhunderts. Es geht um Fairness gegen sich selbst, gegen andere, gegenüber dem Spielsinn. Fairness beinhaltet mehr als eine Anerkenntnis der Regeln, es geht vielmehr um den humanen Sinn des Sports, um den Respekt vor dem Gegner: Der faire Sportsmann hat aus sich selbst heraus die Motivation, dass der sportliche „Gegner“ unter gleich guten Bedingungen und also mit fairen Chancen in den Wettkampf eintreten kann.
Fairness ist ein Begriff geworden auch außerhalb des Sports, etwa im Straßenverkehr, in der Politik, in der Schule und in vielen anderen Kontexten. Allerdings: Was wäre eine faire Kirche, und was eigentlich eine faire Theologie?
Und auch hier gilt: Sport soll leisten, was andernorts nicht praktiziert wird, Sport soll quasi stellvertretend wirken: Im Sport soll Anstand geübt werden, Sport soll ein Residuum an Fairness sein. Aber Achtung: Sport darf auch ethisch nicht überschätzt werden! Was die machtvollen Sportorganisationen aber auch selbst gerne tun, um sich politisch wichtig zu machen: Das Ballsportsymposion des Badischen Sportbundes Nord hatte als Thema „Integration durch Ballspiele“, und dabei werden laut Untertitel „Toleranz – Fairness – Prävention – Migration“ behandelt. Ja, gibt’s denn überhaupt irgendetwas, wofür der Sport nicht auch noch zuständig ist? Es gibt ja Rede, dass jedes Volk die Regierung hat, die es irgendwie verdient, und deshalb könnte man auch sagen, dass wir den Sport haben, den unsere Gesellschaft verdient bzw. eben hervorgebracht hat. Sport ist Spiegelbild unserer Gesellschaft. Insofern ist der Sport Bestandteil unserer Gesellschaft und hat natürlich auch die gesamtgesellschaftlichen Aufgaben mitzuschultern.
Ich bin übrigens überzeugt, dass sich Fairness langfristig auch als ökonomisch sinnvoll herausstellen wird – am Radsport wird man in nächster Zeit nicht mehr viel Geld verdienen können. Man verliert also nicht mit Fairness (FAIRloren), sondern man gewinnt.
Mein Fazit wäre also in Bezug auf das System Sport: Es muss immer wieder austariert werden zwischen dem sportimmanenten Ethos der Fairness und der Einsichtsfähigkeit des Menschen mit der gesamtgesellschaftlichen Situation und Aufgabe.
Was wir in den Kirchen neben der Körperlichkeit und der Bewegung, neben der Expressivität und den Emotionen noch vom Sport lernen können, ist die Einsicht, dass Leistung etwas Schönes ist. Jedenfalls früher wurden kirchliche Funktionäre und Theologen einigermaßen nervös, wenn von Leistung gesprochen wurde, weil man dahinter die Anschauung vermutete, dass sich da jemand selbst erlösen will, um aus eigenen Kräften das Lebensziel zu erreichen. Und das geht ja dann gegen das reformatorische Zentraldogma, dass wir allein um Jesu Christi Genugtuung und seines Verdienstes willen angenommen sind. Aber hier liegt ein theologisches Versehen vor: Vorletztes wird mit Letztem verquickt oder verwechselt. Im Vorletzten ist Leistung schön, insofern sie fair erbracht worden ist, der Mehrwert der Lebensleistung also nicht auf Kosten anderen Lebens erzielt wurde.
Wie bekommen wir eine Kultur der Leistung, wie können wir Leistung als Selbstzweck verstehen, ohne sie als Letztzweck vergötzen zu lassen? Wie bekommen wir Mitte und Maß hin? Etwa: Väter, die viel arbeiten, aber doch ihre Familie nicht vernachlässigen? Sportler, die alles geben, aber nicht zu unfairen Mitteln greifen? Politiker, die nach Macht streben, aber nicht „über Leichen gehen“? Der Missbrauch von Leistung hebt jedenfalls den rechten Gebrauch nicht auf. Auch das kann am Sport gelernt werden.
Was wollen nun Sport und Religion? Wollen sie beide auf je ihre Art die Menschen verbessern? Möglicherweise trifft das auch auf je ihre Art zu, warum auch nicht? Aber man wird sich in Acht nehmen müssen vor Verzweckung! Wenn man den Sinn von Dingen außerhalb ihrer selbst sucht, dann steht man in der Gefahr, die Dinge zu instrumentalisieren.
Um noch einmal darauf zurückzukommen: Es wird zwar gerne argumentiert, vor allem, wenn es um politischen Einfluss der Sportverbände und der Funktionäre geht, dass Sport gesundheitspräventiv wirke. Aber eine solche Aussage müsste immer wieder neu verifiziert werden. Skifahren müsste eigentlich verboten werden, weil dadurch sehr hohe Kosten für unser Gesundheitssystem entstehen, um von den katastrophalen ökologischen Schäden gar nicht zu reden. Nein, liebe Sportsfreunde, der Sport sollte um seiner selbst willen oder um des Menschen willen betrieben und darin begründet sein. A rose is a rose is a rose – und Sport treibt man aus purer Lust an der Bewegung, am Sport, der konvivale und agonale Aspekte in sich schließt.
Und dasselbe gilt für Religion. Der Glaube kann auch nur seinen Grund in sich selbst haben. Religion ist sinnvoll, weil die Grundaussage von Religion und der Vollzug der Religion sinnvoll sind. Religion muss sich nicht als irgendwie gut erweisen, sondern ist da, weil Gott da ist.
Beide, Sport und Religion, sind in der letzten Begründung selbstreferentiell, sie sind um ihrer selbst willen da und stehen also dafür, dass das Leben nicht verzweckt und instrumentalisiert werden darf. So stehen Sport und Religion für eines der wichtigsten Güter unseres demokratischen Gemeinwesens, für die Freiheit. Nicht nur exemplarisch, sondern richtig in echt. Hier wird Freiheit eingeübt: Freiräume werden gestaltet, Freizeit wird erlebt, Freiheit wird erfahren.
Das ist nicht selbstverständlich, und Kirche und Sport haben gerade auch geschichtlich in Sachen Freiheit schwache und starke Seiten. Man kann rasch die großen Freiheitstraditionen zusammentragen, die unsere jüdisch-christliche Tradition bietet – gewiss. Aber man kann das nicht sagen, ohne auch auf die Verfehlungen hinzuweisen, wo die Religion gerade nicht zur Befreiung, sondern zur Unterdrückung von Menschen beitrug. Man kann gewiss auf die große Geschichte des modernen Sports hinweisen und zeigen, wie erfüllt Menschen dort selbstbestimmt ihr Leben gestalten können, ja selbst Freiheitstraditionen lassen sich geschichtlich erinnern, denken wir an Turnvater Jahn und andere.
Aber das dürfen wir nicht zu naiv sagen, ohne auch daran zu erinnern, wie der organisierte Sport sich gerne mit den Mächtigen gemein machte und Unrecht in der Gesellschaft und bei sich selbst duldete und förderte – denken wir nur an die Ergebnisse, die neuere Forschung über die Rolle des Fußballs im Dritten Reich ans Licht brachte. Weder Kirche noch Sport können ihre Geschichte zur Glorifizierung nutzen, sondern stehen vielmehr beide auch gemeinsam in geschichtlicher Schuld und damit auch in gegenwärtiger Verantwortung. Gerade wegen der Verfehlungen sollten beide, Kirche und Sport, sich heute besonders an die Freiheit gewiesen wissen.
Das gilt nicht zuletzt für die Organisationsformen. Sport ist nicht gleich Sportverband, Glauben ist nicht gleich Kirchenorganisation. Man kann auch ohne Verein joggen gehen und ohne Kirche an Gott glauben. Ja. Und nein, so behaupte ich, denn so wie die Kirche die Frage nach Gott nicht nur stellt, sondern auf Grund ihrer Tradition und in ihrer Gemeinschaft auch Antworten zu geben versucht, so pflegen und organisieren Sportverbände den real betriebenen Sport. Die Organisationen sind nicht mit der auch frei möglichen Praxis identisch – und doch sind beide aufeinander bezogen. Sie werden nicht verwundert sein, dass ich als gläubiger Christ auch ein positives Verhältnis zur organisierten Kirche habe, aber ich habe als Sportler auch eine gute Meinung von den Sportverbänden – jedenfalls dann, wenn hier zum Wohl des Menschen und für seine Freiheit gewirkt wird.
Wie kann und an welchen Punkten sollten Kirche und Sport kooperieren, gemeinsam in dieser Gesellschaft spielen und eben kreuzen, um gemeinsam überraschend zum Erfolg zu kommen? Wie können wir gemeinsam quasi Spielpositionen wechseln, um gemeinsam unsere Position durchzusetzen?
An drei Punkten will ich dies abschließend beispielhaft zeigen:
1. Bildung darf nicht verzweckt werden, sondern soll angestrebt werden aus Lust am Wissen und in Freiheit gelebt werden, „Ganzheitlichkeit“ der Bildung sollte angestrebt werden. Tatsächlich werden Sport und Religion aber nicht selten an den Rand der Stundenplantafel in den Schulen gedrängt, um bei Lehrerunterbesetzung diese Randstunden problemlos ausfallen lassen zu können. Sport ist das Schulfach, das am meisten fachfremd unterrichtet wird, nach dem Motto: Mit den Kindern ein wenig herumhopsen kann doch jede/r. Bewegungsfreundliche Schulhöfe, tägliche (!) Sportstunde, das wäre zu fordern. Und der Status von Religion als ordentliches Lehrfach muss als Ausdruck der Selbstbeschränkung unseres demokratischen Staates bewahrt bleiben – wer Religion herausdrängen will, wer die Freiheit der Religion beschneiden will, stellt sich in schlimme Traditionen.
2. Ökonomie ist die Matrix des gegenwärtigen Lebens. Unser Leben und unsere Gesellschaft dürfen aber nicht vollends durchökonomisiert werden. Leistung soll sich zwar lohnen, aber nicht alles sein. Denn wenn etwas alles ist, dann ist es auch legitim, um jeden Preis diese Leistung zu erbringen. Aber der Mensch muss wichtiger bleiben als die Leistung. Man muss keine sportliche Höchstleistung bringen, wenn das nicht über faire Mittel geht, und man muss auch keine Doktorarbeit schreiben, wenn dazu die Begabung oder das Interesse fehlen und man den Titel lediglich als Karrieremittel benutzen möchte. Die Allgegenwart der Ökonomie, der Produktion und des Konsums, wird deutlich an der Aushöhlung des Sonntags. Für beide, für Sport und Kirche ist dies aber ein wichtiger Tag: Gemeinsame Zeit, eben Frei-Zeit, um Sport treiben zu können, gemeinsame Zeit, um Gott loben zu können. Kirche und Sport gehen Hand in Hand, um den Sonntag zu schützen.
3. Einer der schönsten Slogans der letzten Jahre lautet: „Dem Ball ist es egal, wer ihn tritt!“ Der Sport kann besonders zur Integration beitragen, nicht nur zur Integration von Migranten, sondern auch von Männern und Frauen, von Starken und Schwachen, von sogenannten Gesunden und Gehandicapten. Der Sport kann praktisch erwirken oder jedenfalls befördern, was der christliche Glaube weiß: Gott wendet sich allen Menschen zu, er hatte alle geschaffen und hält alle in seiner Hand. Rassismus ist immer eine Sünde gegen Gott, wie die Weltkirchenkonferenz 1948 feststellte. Es ist sehr erfreulich, wie gerade in Sachen Integration Kirche und Sport schon seit Jahren an einem Strang ziehen.
Kirche und Sport – gute Partner für das Leben der Freiheit, ein Leben in unserer Gesellschaft, das gewiss noch viel mehr als die drei genannten Bereiche bietet, durch Kreuzen, durch schnelles Positionswechselspiel gemeinsam zum Erfolg zu kommen. Und wenn diese beiden, Kirche und Sport, auch noch in einer Person zusammenkommen so wie bei Friedhelm Jakob, dann – und jetzt lassen Sie mich zum Schluss religiös werden – dann geschieht dies zum Segen (!) für Kirche und Sport, besonders aber zum Wohl der Menschen und Gott zur Ehre.
* Vortrag am 9. März 2011 in der Gedächtniskirche in Speyer anlässlich des 60. Geburtstags von Dekan Friedhelm Jakob, Präsident des Pfälzer Handballverbandes. Zur Veröffentlichung vorgeschlagen von Frank-Matthias Hofmann, Johanna-Wendel-Straße 15, 66119 Saarbrücken, Vizepräsident des Handballverbandes Saarland.
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