Projektskizze: Die Pfälzische Landeskirche in der NS-Zeit

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Ein Handbuch

Dr. Christoph Picker
Niedererdstraße 44, 67071 Ludwigshafen

Ein Publikationsprojekt zur NS-Geschichte initiiert die Evangelische Kirche der Pfalz. Unter Federführung der Evangelischen Akademie und unter Einbeziehung des Vereins für Pfälzische Kirchengeschichte soll ein Handbuch entstehen, das in thematischen Querschnitten ein detailliertes Bild von der Geschichte der pfälzischen Landeskirche im Nationalsozialismus zeichnet. Den Herausgeberkreis bilden Christoph Picker, Direktor der Evangelischen Akademie der Pfalz und Lehrbeauftragter für Kirchengeschichte an der Universität Heidelberg, Gabriele Stüber, Direktorin des Zentralarchivs der Evangelischen Kirche der Pfalz, Klaus Bümlein, Vorsitzender des Vereins für Pfälzische Kirchengeschichte, und Frank-Matthias Hofmann, Beauftragter der Evangelischen Kirchen bei der saarländischen Landesregierung und Mitglied im Arbeitskreis Kirche und Judentum. Zu den Autoren gehören die Kirchenhistoriker Klaus Fitschen (Leipzig), Siegfried Hermle (Köln), Harry Oelke(München) und rund 30 weitere Historiker und Kirchenhistoriker. Die Beiträge sollen höchstens 20 Druckseiten umfassen. Sie genügen wissenschaftlichen Standards und sprechen in ihrem sprachlichen Duktus zugleich einen breiteren Leserkreis an. Zitate und unmittelbar relevante Literatur- oder Quellenbezüge werden in Endnoten nachgewiesen. Eine systematische Gliederung sorgt für inhaltliche Geschlossenheit. Entstehen soll eine narrative Darstellung auf wissenschaftlichem Niveau.[1]

Eine gründliche und umfassende Untersuchung der Geschichte der Pfälzischen Landeskirche in der NS-Zeit ist überfällig. Unter der Dominanz des Kirchenkampfparadigmas konzentrierte sich die kirchengeschichtliche Forschung jahrzehntelang auf die Evangelische Kirche der altpreußischen Union und auf die sogenannten „intakten“ Landeskirchen. Erst in jüngerer Zeit ist eine gewisse Neuorientierung zu beobachten.[2] Als erste pfälzische Veröffentlichung erschien 1960 die seinerzeit verdienstvolle Quellensammlung des Oberkirchenrates Richard Bergmann, die den methodischen Ansprüchen zeitgeschichtlicher Forschung jedoch nicht genügt.[3] 1974 veröffentlichte Karl-Georg Faber in den Blättern für Pfälzische Kirchengeschichte erste skizzenhafte Überlegungen zu einer Geschichte der Pfälzischen Landeskirche in der NS-Zeit.[4] Die bisher intensivste Auseinandersetzung leistete 1997 der Historiker Thomas Fandel in seiner Trierer Dissertation über evangelische und katholische Pfarrer in der Pfalz von 1930-1939.[5] Ein Gesamtüberblick zur Geschichte der pfälzischen Landeskirche in der NS-Zeit fehlt.[6] Dabei mag es eine Rolle spielen, dass es in der Pfalz keine Universität mit entsprechenden Forschungskapazitäten gab. Möglicherweise haben auch persönliche Beziehungen und Netzwerke in der überschaubaren Pfalz die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit gehemmt.

Aufgrund signifikanter Sonderentwicklungen ist die Geschichte der pfälzischen Landeskirche in der NS-Zeit als Forschungsgegenstand von überregionalem Interesse. Ein kirchengeschichtliches Unikum ist der 1934 zum „Landesbischof“ gewählte Ludwig Diehl, der spätestens seit 1927 ein überzeugtes Mitglied der NSDAP war. Von 1935 bis 1937 gehörte Diehl als einziger „Kirchenführer“ einer Landeskirche dem Reichskirchenausschuss an und war in dieser Funktion an den Verhandlungen über die Einrichtung von Landeskirchenausschüssen in Bayern und in Baden beteiligt.[7] Zu den pfälzischen Spezifika gehört es auch, dass ein „Kirchenkampf“ im eigentlichen Sinne nahezu vollständig ausblieb. Welche Faktoren dies verhindert haben, ist bisher nicht schlüssig geklärt. Besondere Bedeutung gewinnt die Pfalz zudem durch ihre konfessionelle Struktur, durch die Saarfrage und durch die Rolle der Landeskirche bei der Annexion Lothringens.

Das geplante Handbuch wird ein differenziertes Gesamtbild von der Geschichte der Pfälzischen Landeskirche in der NS-Zeit zeichnen. Dabei geht es nicht nur um die Bündelung der vorhandenen Literatur. Durch quellenorientierte Arbeit werden Forschungsfortschritte angestrebt, die als Grundlage für weitere Untersuchungen zum Nationalsozialismus in der Pfalz und für regionale Vergleichsstudien dienen können. Durch seine Lesbarkeit soll das Handbuch zugleich einen Beitrag zur historisch-politischen Bildung leisten. Natürlich liegt ein solches Projekt auch im kirchlichen Eigeninteresse. Die NS-Geschichte spiegelt in verdichteter Form Gefährdungen, Verführbarkeit und Widerstandspotential im pfälzischen Protestantismus. Die Auseinandersetzung mit entsprechenden Fragen betrifft auch die gegenwärtige Organisationsgestalt, die gegenwärtige Kultur und das gegenwärtige Bekenntnis der pfälzischen Landeskirche. Kirchengeschichtsforschung – unabhängig davon, ob sie sich als theologische Disziplin versteht oder nicht – tut gut daran, diese Konstellation bewusst zu halten. Umso sorgfältiger wird sie auf die Einhaltung der wissenschaftlichen Standards historischer Forschung achten.

Das Handbuch beschränkt sich auf die Zeit zwischen 1933 und 1945. Die Vorgeschichte wird in einem Artikel über Protestantismus und Nationalsozialismus vor 1933 berücksichtigt. Sie kommt zudem sachorientiert in den Einzelbeiträgen zum Tragen. Die Brüche und Kontinuitäten nach dem Ende des Regimes sind Thema eines eigenen Artikels, während die kirchliche und politische Neuordnung sowie der „Nachkirchenkampf“ bewusst ausgeklammert bleiben.

Die konzeptionelle Gesamtstruktur des Handbuchs soll einschlägige Engführungen regionalkirchengeschichtlicher Forschung vermeiden. Die Ereignisse auf der Ebene der Reichskirche sollen mitberücksichtigt werden. Sie haben vor allem 1933 und 1934 die landeskirchlichen Entwicklungen massiv beeinflusst. Umgekehrt ist davon auszugehen, dass Ludwig Diehl 1935 bis 1937 im Reichskirchenausschuss seine Erfahrungen mit den „Befriedungsversuchen“ in der Pfalz auch auf Reichsebene zur Geltung bringen konnte. Gelegentlich ist der Blick auf benachbarte Landeskirchen aufschlussreich. 

Harry Oelke wird der Einordnung in die Gesamtentwicklung im deutschen Protestantismus einen eigenen Artikel widmen. In den thematisch orientierten Beiträgen soll der reichskirchengeschichtliche Horizont ebenfalls präsent sein. Auch die politischen Entwicklungen sollen beachtet werden. Dabei geht es nicht nur um die Kirchenpolitik des NS-Regimes im engeren Sinne, sondern auch um die Frage, wie die Landeskirche auf die NS-Politik insgesamt reagierte. Das Kirchenkampfparadigma ist für diese Konzeption nicht leitend. Die Spannungen zwischen verschiedenen innerkirchlichen Gruppen sowie die Abwehr staatlicher Eingriffe in den kirchlichen Binnenbereich sind lediglich Perspektiven neben anderen.

Die einzelnen Artikel behandeln die Geschichte der Landeskirche in verschiedenen Fokussierungen. In einem ersten Abschnitt werden wichtige Etappen der Landeskirchengeschichte in chronologischer Ordnung skizziert. Der zweite Abschnitt widmet sich relevanten Institutionen, Organen und Gruppen innerhalb und außerhalb der Kirche. Im dritten Abschnitt wird das landeskirchliche Handeln im Blick auf verschiedene Felder der NS-Politik untersucht. Der vierte Abschnitt behandelt genuin kirchliche Handlungsfelder. An den thematischen Block schließen sich biographische Skizzen an, die konzentriert auf ein bis zwei Seiten wichtige Informationen zur Person bündeln. Behandelt werden kirchliche Funktionsträger, die herausragende Bedeutung hatten oder exemplarisch für eine bestimmte kirchliche, respektive politische Strömung stehen. Aufgenommen werden auch hervorgehobene politische Funktionsträger mit dezidiert protestantischer Prägung. Ein bibliographischer Anhang und ein Register schließen das Handbuch ab. Im Einzelnen ist folgende Gliederung geplant:

1. Einführung

– Erinnerungskultur in der Pfälzischen Landeskirche

– Die Landeskirche und die Gesamtentwicklung im deutschen Protestantismus

2. Thematische Querschnitte

2.1. Der Weg der Landeskirche zwischen kirchlicher Verantwortung und politischem Anspruch

– Protestantismus und Nationalsozialismus bis 1933

– Das Umbruchjahr 1933

– Die Kirchenwahlen 1934

– Selbstgleichschaltung und Eingliederung in die Reichskirche

– Die Entwicklung Landeskirche zwischen 1934 und 1939

– Die Sondersituation im Saargebiet und die Bedeutung der Saarabstimmung von 1935

– Kirchengemeinden der Saar-Pfalz zwischen Saarabstimmung und Bekenntnisfrage

– Landeskirche zwischen Kriegsbeginn und Zusammenbruch

– Neuanfang nach 1945?

2.2. Institutionen, Organisationen, Gruppen

– Landeskirche und die Instanzen der Reichskirche

– Landeskirche und politische Instanzen im NS-Staat

– Die Rolle der traditionellen Kirchenparteien: Liberale, Positive, Religiöse Sozialisten

– Deutsche Christen und nationalkirchliche Bewegung in der Pfalz

– Pfälzische Pfarrbruderschaft und Bekenntnisbewegung

– Der Pfälzische Pfarrerverein

2.3. Landeskirche und politische Repressionen

– Antisemitismus und Judenverfolgung

– Antikommunismus

– Zwangssterilisierungen und Krankenmorde

– Kirche, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter

– Antichristliche und antikirchliche Maßnahmen

2.4. Kirchliche Handlungsfelder

– Gottesdienst und Kirchenmusik

– Kunst und Kirchenbau

– Kirchliche Kinder- und Jugendarbeit

– Theologische Fakultäten und kirchliche Ausbildung

– Volksmission

– Schulpolitik der Landeskirche

– Diakonie

– Frauenarbeit

– Die kirchliche Presse

– Protestantismus und Katholizismus

– Die Pfalz und die Weltkirche bis 1945

– Kirchliche Finanzen

3. Biographische Skizzen

4. Anhang

– Bibliographie

– Verzeichnis der Archivalien

– Register

Redaktionsschluss für die Beiträge ist das Jahresende 2012. Die Veröffentlichung soll 2014 beim Verlagshaus Speyer in Kooperation mit einem Partnerverlag erfolgen. Am 10. September 2011 fand in Kaiserslautern eine Autorenkonferenz statt, um die Konzeption zu diskutieren und das Projekt der Öffentlichkeit vorzustellen. Weitere Tagungen werden die Entstehung des Handbuchs begleiten. Informationen gibt es bei der Evangelischen Akademie der Pfalz unter www.eapfalz.de oder telefonisch unter 06232/6020-0.

Der Beitrag wurde erstveröffentlicht in: Mitteilungen zur Kirchlichen Zeitgeschichte, herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Claudia Lepp und Harry Oelke, MKfZ 5/2011, S. 187-193.

[1] In formaler Hinsicht vorbildlich ist Gerhard Müller/Horst Weigelt/Wolfgang Zorn (Hgg.), Handbuch der Geschichte der Evangelischen Kirche in Bayern, 2 Bd., St. Ottilien 2000/2002.

[2] Beispielhaft seien die jüngsten Untersuchungen zur badischen Kirchengeschichte. Vgl. die umfangreiche Quellenedition Gerhard Schwinge/Hermann Rückleben (Hgg.), Die Evangelische Landeskirche in Baden im Dritten Reich. Quellen zu ihrer Geschichte, 6 Bdd., Karlsruhe 1991-2005; Rolf-Ulrich Kunze (Hg.), Badische Theologen im Widerstand (1933-1945), Konstanz 2004. Diverse Einzelbeiträge bietet Udo Wennemuth (Hg.), Unterdrückung, Anpassung, Bekenntnis. Die Evangelische Kirche in Baden im Dritten Reich und in der Nachkriegszeit, Karlsruhe 2009. Von Rolf-Ulrich Kunze angekündigt ist eine umfangreiche Monographie unter dem Titel „Möge Gott unserer Kirche helfen!“ Theologiepolitik, ,Kirchenkampf’ und Auseinandersetzung mit dem NS-Regime. Die Evangelische Landeskirche Badens 1933-1945. Angekündigt ist auch die Veröffentlichung der Mainzer Dissertation von Carolin Klausing über die Bekennende Kirche und die landeskirchlichen Machtverhältnisse in Baden zwischen 1933 und 1945.

[3] Vgl. Richard Bergmann (Hg.), Documenta. Unsere Pfälzische Landeskirche innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche in den Jahren 1930-1944, 3 Bdd., Speyer 1960. Eine unkommentierte Neuauflage mit veränderter Seitenzählung besorgte 2004 bis 2008 der Verein Pfälzischer Pfarrerinnen und Pfarrer durch Martin Schuck.

[4] Vgl. Karl-Georg Faber, Überlegungen zu einer Geschichte der Pfälzischen Landeskirche unter dem Nationalsozialismus, in: BPfKG 41 (1974), 29-58.

[5] Vgl. Thomas Fandel, Konfession und Nationalsozialismus. Evangelische und katholische Pfarrer in der Pfalz 1930-1939, Paderborn 1997.

[6] Archivalien und die verstreute Literatur sind zusammengestellt bei Erika Böhler/Christine Lauer/Gabriele Stüber, Zur Erforschung des Nationalsozialismus in der Evangelischen Kirche der Pfalz. Ein Sachstandsbericht zur Forschungs- und Quellenlage, in: BPfKG 77 (2010), 183-204.

[7] Vgl. Christoph Picker, Ludwigs Diehl (1894-1982). NS-„Landesbischof“ zwischen Kirchenleitung und Regimetreue 1934-1945, in: Friedhelm Hans/Gabriele Stüber (Hgg.), Pfälzische Kirchen- und Synodalpräsidenten, Karlsruhe 2008, 51-89.

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