Paul Gerhard Schoenborn
Dellbusch 298, 42279 Wuppertal
Günter Brakelmann und Traugott Jänichen (Hg.) Dietrich Bonhoeffer – Stationen und Motive auf dem Weg in den politischen Widerstand, Zeitansage Band 2 – Schriftenreihe der Evangelischen Akademikerschaft Westfalen und der Evangelischen Stadtakademie Bochum, LIT Verlag, Münster 2005, 201 Seiten, ISBN 3-8258-8945-9
Aus Anlaß der beiden Bonhoeffer-Jahre 2005 und 2006 erscheinen gegenwärtig viele Arbeiten zu Leben und Werk dieses Theologen – Einzeluntersuchungen, Überblicke über das Gesamtwerk, Aktualisierungen. Manche Bekanntes wird noch einmal gesagt, in anderem blitzt Neuerkanntes auf. Das gilt auch von dem vorliegenden Bochumer Sammelband. In ihm werden Vorträge und Meditationen einer Vorlesungsreihe und eines Wochenendseminars der Evangelischen Stadtakademie Bochum und der Evangelischen Akademie Iserlohn dokumentiert.
Günter Brakelmann zeichnet in seinem großen Beitrag „Dietrich Bonhoeffers Tätigkeit in der Konspiration 1939 – 1945″ (S. 111 – 158) ein minutiöses Bild der Aktivitäten, Hoffnungen und Enttäuschungen Bonhoeffers in der Zeit der Konspiration und der Haft. Er weist eindrucksvoll die Bedeutung Bonhoeffers Bedeutung für den Widerstand vor dem Hintergrund seiner theologischen, kirchlichen und politischen Analysen nach und stellt sie in den Kontext ökumenischer Bemühungen um eine neue Friedensordnung in Europa nach Hitler.
Christian Gremmels geht in einer Meditation von Bonhoefferschen Metaphern – so dem von Bonhoeffer überlieferten Bild vom falschen Zug, in dem gegen die Fahrtrichtung zu laufen nichts bringe – der Frage nach, woher Dietrich Bonhoeffer die „Kraft zum Widerstehen” (S. 13 – 34) bekam und erschließt damit das Thema „Widerstand” anhand wichtiger Stationen des Lebens Bonhoeffers für die Gegenwart.
Jürgen Henkys „Die Gedichte Dietrich Bonhoeffers aus der Haft” (S. 159 – 178) zeigt am Beispiel des Gedichtes: „Vergangenheit” (in der handschriftlichen Fassung an Maria von Wedemeyer), wie sich biographisches Erleben, theologische Reflexion und persönliche Frömmigkeit in Bonhoeffer poetischen Texten überzeugend miteinander verbinden.
Traugott Jänichen rekonstruiert in seinem Beitrag „Freie Verantwortung und Zivilcourage” (S. 89 – 109) das innere Ringen Bonhoeffers im Sommer 1939 in New York um seine Rückkehr nach Deutschland. Er zeigt auf, wie diese Entscheidung damals und die darauf folgenden Erfahrungen in der Konspiration die Gedanken von Bonhoeffers „Ethik” nachhaltig beeinflusst haben.
Konrad Reiser stellt in seinem Vortrag „Bonhoeffer und die ökumenische Bewegung – Historische Rekonstruktion und Bedeutung für heute” (S. 35 – 57) die Aktivitäten und ekklesiologischen Thesen Bonhoeffers dar, die für die Ökumene bis heute wichtig geblieben sind. Stichworte: das konkrete Friedensgebot – Einheit und Wahrheit der Ökumene als Kirche – Bekenntnis und Widerstand – Herausforderung durch die Moderne.
Bleiben wir beim letzten Punkt, Bonhoeffers Antwortversuche auf die Herausforderungen der Moderne-Ich beobachte gegenwärtig manche Versuche, die entsprechenden Impulse Bonhoeffers aus „Widerstand und Ergebung” – über Gottes Ohnmacht, über das religionslose Zeitalter, über eine nichtreligiöse Interpretation biblischer Inhalte – zu neutralisieren. Mit großer Klarheit zeigt Raiser dem Leser, wie unterschiedlich der reformierte Karl Barth und der lutherische Dietrich Bonhoeffer die Frage nach der (All-)Macht Gottes unter den Bedingungen der Moderne artikulieren: „Während Barth in calvinistischer Tradition von der Königsherrschaft Jesu Christi über alle menschliche Geschichte sprach,” (und damit das Axiom „göttliche Allmacht” nicht aufzugeben braucht – PGSch) „begann Bonhoeffer, in Anlehnung an seine lutherische Tradition von der Gegenwart Gottes im leidenden Christus zu sprechen, der an die Stelle derer tritt, die es wagen, mit Gott zu leben in einer Welt ohne Gott. Nicht die königliche Herrschaft, sondern die Machtlosigkeit Gottes im leidenden Christus ist die Stelle, wo Bonhoeffer das geschlossene System der Moderne durchbricht.” (S. 53) Gott hat sich im leidenden Christus für uns verändert, erkennt Bonhoeffer. Allein dieser kleine Abschnitt bei Raiser hat für mich die Lektüre des ganzen Buches gelohnt!
Helmut Reihlen zeichnet die Standpunkte nach, die der Psychiater Karl Bonhoeffer und sein Sohn Dietrich in medizin- und bioethischen Fragen in der NS-Zeit einnehmen. Der Arzt ist praxisnäher, der Theologe grundsätzlicher. Manche Partien der bonhoefferschen „Ethik” lassen auf entsprechende Diskussionen im Familienkreis schließen. Reihlen zieht von dem Dialog zwischen Vater und Sohn Bonhoeffer die Linien aus zur gegenwärtig geführten Debatte um Sterbehilfe und Euthanasie.
Heiner Süselbeck stellt in „ ‚Es gehen mir täglich mehr Rätsel auf … ‘ – Dietrich Bonhoeffer und die Bibel” (S. 75 – 87) dar, von welcher Art die bibelorientierte Spiritualität Bonhoeffers war, welche Konsequenzen sie für das Erlernen einer praxis pietatis in Finkenwalde hatte, wie sie sich durchhielt bis in die Tegeler Zelle. Süselbeck interpretiert Bonhoeffer, aber er zeigt zugleich, welche Intensität und Tiefe protestantische Frömmigkeit heute erreichen sollte.
„Zeitansage Band 2″ ist dem langjährigen Leiter der Evangelischen Stadtakademie Bochum Dr. Manfred Keller als Dankesgabe bei seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst gewidmet. Der ist selbst am Ende des Werks vertreten mit Texten einer Andacht und einer Predigt (S. 179 – 189) über die historische Bedeutung und besonders die gegenwärtig wirkenden Impulse Dietrich Bonhoeffers für Theologie und Kirche. Beide Texte sind beispielhaft dafür, wie man in diesen Jahren vor einer Gottesdienstgemeinde sowohl die Heilige Schrift auslegen als auch an den Glaubenshelfer Dietrich Bonhoeffer erinnern kann.
Jeder einzelme der Beiträge dieses Werkes ist es wert, gründlich gelesen und bedacht zu werden. Der Evangelischen Akademikerschaft Westfalen und der Evangelischen Stadtakademie Bochum sei für diesen Sammelband herzlich Dank gesagt.