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Replik zu Dr. Paul Metzger – PPB 11/2012, S. 423f.

Frank Schuster
Leipziger Straße 5, 67663 Kaiserslautern

Wofür Karl Barth doch nicht alles gut ist … Jetzt darf er sogar als Kronzeuge für einfache gottesdienstliche Handlungen wie das Hochheben (oder nicht Hochheben) einer Altarbibel dienen.

Ob das sonntägliche Gemeindeglied den großen Schweizer Theologen denn kennt? Oder sich nicht einfach fragt, weshalb die schöne große Altarbibel stets unbenutzt auf ihrem kleinen Pult liegen muss, anstatt ihrer genuinen Bestimmung (aus Büchern wird gelesen, wie aus Flaschen getrunken wird) zugeführt zu werden. Ich nehme mal an, beim Kollegen Metzger steht auch keine Flasche Château Pétrus zu Dekorationszwecken auf dem Esstisch, ausgeschenkt wird aber immer nur der Rote vom Discounter aus dem praktischen Schlauch. So bitte auch mit der Altarbibel umgehen: Anfassen erlaubt, wenn nicht gar geboten!

Mein Kronzeuge ist nicht gar so prominent, aber zweckdienlich. Thomas Kabel meint dazu: „Ich halte die Lesung für einen der wichtigsten und schwersten Teile des Gottesdienstes. Das sind ‚Urtexte’. … Aber jetzt sind sie die Quellen, aus denen wir schöpfen, das Fundament, auf dem wir stehen. Der ganze Gottesdienst dreht sich eigentlich um diese ursprünglichen Texte. In meiner Erfahrung mit Gottesdiensten ist es aber häufig so, dass diesen Texten eine geringe Aufmerksamkeit gegeben wird und längst nicht die Wertschätzung, die sie verdient hätten. … Diese Geringschätzung hängt vermutlich mit dem Verhältnis zusammen, das viele zur Bibel haben. … Wir entfernen uns immer weiter von diesem Buch der Bücher. … Das Buch und der Auftritt: Die Lesung des Bibeltextes sollte aus ästhetischen und symbolischen Gründen aus einer Bibel, ersatzweise aus einem Lektionar erfolgen. … Auch das Buch selbst sollte in Größe und Gewicht gut von dem Liturgen oder der Liturgin zu handhaben sein. Ein zu kleines Buch ist der Bedeutung dieser liturgischen Situation und möglicherweise auch dem Kirchenraum nicht angemessen. Ein zu großes Buch erzeugt … Spannungen …, Atmung und Stimme haben darunter zu leiden. Es ist vielleicht romantisch, wenn die Gemeinde eine Altarbibel aus der Kaiserzeit besitzt. Aber zur ständigen Nutzung sollte sie sich ein Buch anschaffen, aus dem auch wirklich gelesen werden kann. Die Titulierung der Bibel als ‚ungelesener Bestseller’, der zu Hause nur die Bücherwand schmückt, sollte nicht mit einer Schmuckbibel auf dem Altar seine symbolische Bestätigung finden.“[1]

Kabel spricht als Regisseur, Schauspieler, Künstler, was manche „theologically incorrect“ finden werden – aber er weiß nur zu gut um die Empfindungen der Zuschauenden bei Inszenierungen, was letztlich auch unsere Gottesdienste sind, ob wir wollen oder nicht. So, wie man bekanntlich nicht nicht-kommunizieren kann, kann man auch nicht nicht-inszenieren – denn der bewusste (wenn auch meinetwegen theoretisch-theologische akzeptable) Verzicht auf inszenierende Elemente führt nur zu einer schlechten Inszenierung. Und das haben unsere Bibeltexte nicht verdient!

Damit wird die hochgehaltene Altarbibel natürlich nicht zur Reliquie, wie Kollege Metzger unterstellt, das würde ich eher beim musealen biblischen Ausstellungsstück auf dem Altar vermuten (Noli me tangere!). Erst recht nicht wird sie durch Anfassen und Hochheben „re-mythisiert“, sondern ganz schlicht und ergreifend in den Mittelpunkt des Interesses gerückt und damit wie gesagt ihrer genuinen Bestimmung zugeführt.

Ich hebe sie ebenso hoch, wie ich auch Brot und Kelch beim Abendmahl hochhalte, statt nur draufzuzeigen, was ich beides bei einer Fortbildung mit Thomas Kabel erfahren und probieren durfte. Seitdem höre ich aus meiner Gemeinde mehr und mehr positive Reaktionen, dass es nun immer sinnfälliger und augenscheinlicher werde, was sonst nur in Worten behauptet wird. Der Glaube, das Vertrauen auf Gott, kommt aus dem kerýssein (Röm 10, 17), was weit mehr bedeutet als „die Predigt“. Wir verkündigen durch Lesen und Singen, durch Tanzen und Schweigen, durch Reden und Bewegen, Trösten und Protestieren – das sollten wir uns stets aufs Neue bewusst machen.

Das wird eingefleischte Barthianer schmerzen. Viele unterstellen dann gar, man wolle durch die Wiederentdeckung von Gesten, Gewändern, Symbolen usw. über seine Predigtschwächen oder theologischen Defizite hinwegtäuschen. Aber weder der geschätzte Kollege und Wanderprediger Ludwig Burgdörfer noch meine Wenigkeit sollten dank unserer langjährigen publizistischen Tätigkeit im homiletischen Bereich in diesem Verdacht stehen.

Der 90-jährige, altersweise Jörg Zink meint zu solchen und ähnlichen Debatten übrigens: „Soll es für unsere Kirche heute und morgen noch etwas anderes geben als ihr Beharren auf dem gegenwärtigen Stand ihres Nachdenkens und ihr allmähliches Absinken in die Bedeutungslosigkeit, so wird sie dem, was sich heute abspielt, anders als mit ihrer eingeübten Rechthaberei begegnen müssen. Sie sollte nicht meinen, sie könne diese Phase der bunten Religiosität und des bunten Begegnens zwischen den Religionen aussitzen. Sie wird für sich selbst und für die Menschen dieser Zeit eine am Evangelium orientierte Spiritualität finden müssen, die Phänomene wie die religiöse Erfahrung der Menschen einschließt. Das Thema ist gestellt.“[2]

[1] Thomas Kabel: Übungsbuch Liturgische Präsenz, Gütersloh 2011, S. 43 u. 46

[2] Jörg Zink: Gotteswahrnehmung. Wege religiöser Erfahrung, Gütersloh 2009, S.31.

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