Dr. Günter Geisthardt
Eichbornstraße 17, 76829 Landau
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ So steht es im ersten Artikel unseres Grundgesetzes. Formuliert wurde dieser Satz nur wenige Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft. Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates, die im August 1948 auf Herrenchiemsee am Entwurf einer Verfassung für den zukünftigen demokratischen Staat Bundesrepublik Deutschland arbeiteten, wussten aus eigener Erfahrung: Die Würde des Menschen kann angetastet, verletzt, aufs Schlimmste geschändet werden. Gerade deshalb stellten sie die Menschenwürde an die Spitze ihres Verfassungsentwurfs und nannten als höchste Verpflichtung der öffentlichen Gewalt die Aufgabe, „die Menschenwürde zu achten und zu schützen.“[2]
Ebenfalls aus dem Jahr 1948 stammen die beiden folgenden Sätze: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ So lautet Artikel 1 der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verkündeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Vermutlich haben Sie alle diese Sätze schon einmal gehört und gelesen. Die Versuchung ist groß, die hehren Worte dieser Erklärung sogleich mit der Wirklichkeit der millionenfachen Verletzung von Menschenrechten von China über den Sudan bis nach Guantánamo zu konfrontieren und dann als wertlose, weil wirklichkeitsfremde politische Lyrik abzutun.
Zugleich wissen diejenigen, die konkret für den Schutz von Menschenrechten und die Opfer von Menschenrechtsverletzungen eintreten, ob im Rahmen internationaler Organisationen wie der UNO oder der EU, im kirchlichen Auftrag oder bei Nichtregierungsorganisationen wieamnesty international: Es ist ungemein wichtig, die Träger politischer Verantwortung auf das hinweisen zu können, wozu sich ihre Staaten selbst durch die Zustimmung zu dieser Erklärung verpflichtet haben. Und dies umso mehr, als wesentliche Inhalte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mittlerweile in zahlreiche andere völkerrechtlich verbindliche Rechtsdokumente eingegangen ist. Gehen wir also davon aus, dass es sich lohnt, dem Gehalt der Menschenrechtsdokumente nachzuspüren und ihre inhaltliche Substanz zu erfassen. Lassen Sie mich damit beginnend in diesem einleitenden Vortrag den Zusammenhang von Menschenwürde, Menschenrechten und Menschenbildern darstellen.
1. Menschenwürde als Basis der Menschenrechte
Wo von Menschenrechten in einem grundsätzlichen, begründenden Sinne gesprochen wird, ist auch von der Würde des Menschen die Rede. So auch in Art. 1 des Grundgesetzes: „(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ Ohne jegliche Begründung oder Erläuterung stellt das Grundgesetz die Würde des Menschen als Basis der Rechtsordnung an den Anfang. Daran unmittelbar angeschlossen ist die Verpflichtung zur Achtung der Menschenwürde als Leitnorm der staatlichen Gewalt.
Die Menschenwürde dient zur Begründung der Menschenrechte. Die gleiche Würde aller Menschen ist die Grundlage der Rechte, die allen Menschen zukommen. Es ist eine der großen Errungenschaften der Menschenrechtsprogrammatik, Rechte zu proklamieren, die allen Menschen gleichermaßen zu eigen sind, unabhängig von der Herkunft und vom Stand, dem der Einzelne angehört. Weil sie in der allen gleichermaßen zukommenden Menschenwürdewurzeln, haben Menschenrechte einen sowohl universalistischen als auch egalitären Zug. Zugleich wissen wir, dass auf dem langen Weg zur Anerkennung der Menschenrechte auch unter deren Protagonisten keineswegs von Anfang an klar war, dass Menschenrechte nicht nur Männerrechte, sondern auch Frauenrechte sind.
Das gilt noch für die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789. Aus Protest gegen den Ausschluss der Frauen veröffentlichte die Frauenrechtlerin Olympe Marie de Gouges 1791 eine Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin. Ihren Mut bezahlte sie mit dem Leben: 1793 wurde Olympe Marie de Gouges hingerichtet. Dass die Menschenrechte auch den Menschen mit schwarzer Hautfarbe zukommen, denken wir nur an die mit dem Namen Martin Luther King verbundene Bürgerrechtsbewegung in den USA, dass auch die Angehörigen der indigenen Bevölkerung in Lateinamerika Träger von Menschenrechten sind, all dies musste sich erst in einem mühsamen, Jahrhunderte währenden Prozess durchsetzen.
Ein Beispiel: In den nach der Unabhängigkeit von Spanien bzw. Portugal gegründeten Republiken Lateinamerikas unterlag die Indio-Bevölkerung einem gesonderten rechtlichen Status, der sie auf allen gesellschaftlichen Ebenen benachteiligte. So waren noch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein in zahlreichen Staaten Analphabeten – und damit ein Großteil der indigenen Landbevölkerung – vom Wahlrecht ausgeschlossen. In Bolivien erlangten die Indios 1953 formal die Bürgerrechte. In der Praxis blieben sie Bürger dritter Klasse.
Menschenrechte lassen sich verstehen als eine unabgeschlossene Lerngeschichte im Umgang mit Unrechtserfahrungen[3] – mit dem Ziel ihrer Überwindung. Als gleiche Rechte allermussten sie gegen die herrschenden Verhältnisse zur Geltung gebracht werden, angesichts offen zutage liegender Ungleichheit der jeweiligen Lebensverhältnisse. Wir sehen hieran, welche Funktion der Begriff der Menschenwürde für die Menschenrechte hat. Waren Rechte auf einen bestimmten Stand bezogen und beschränkt, konnte man genau sagen, wer die Träger dieser Rechte waren, also: die Angehörigen des Fürstenstandes, des Klerus …
Das Gemeinsame ist das, was die Angehörigen des jeweiligen Standes verbindet und von anderen Ständen trennt, also z.B. ihr Adelsprädikat, ihr Grundbesitz, oder, beim Klerus, ihre Priesterweihe. Diese Attribute begründen, dass die Person Trägerin einer spezifischen, standes– oder gruppenbezogenen Würde und damit derjenigen Rechte ist, die dieser Würde entsprechen. Im Unterschied zum mittelalterlichen Verständnis, das die Würde des Einzelnen an den jeweiligen Stand bindet, garantiert Menschenwürde als ethisches Leitmodell moderner Gesellschaften dem Individuum Anerkennung jenseits gesellschaftlicher Rollenzuweisungen und -vorstellungen.[4]
2. Menschenwürde und Menschenbild[5]
Was mit einem Begriff gemeint ist, erschließt sich oft dann, wenn man seine Geschichtekennenlernt. Die Bedeutung eines Begriffes kann sich im Laufe einer langen Geschichte verschieben, Begründungszusammenhänge, bildhafte Kontexte und praktische Erfahrungsmöglichkeiten können sich verändern. Für Menschen des 21. Jahrhunderts ist es nur noch schwer verständlich, dass „Würde“ (lat. dignitas) lange Zeit nur Angehörigen bestimmter Gesellschaftsschichten zugeschrieben wurde und Sklaven wie Tiere oder Sachenbetrachtet wurden. Dagegen steht „Menschenwürde“ insbesondere seit der Stoa für das, was den Menschen über die Tierwelt erhebt, seine Begabung mit Vernunft und die Fähigkeit zur Selbstbestimmung.
Das frühe Christentum nimmt diesen Gedanken auf und begründet die besondere Stellung und Würde des Menschen in der Schöpfung mit seiner Gottebenbildlichkeit nach Gen 1,27: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib.“ Von Gregor von Nyssa über Augustin und Laktanz bis hin zu Bernhard von Clairvaux wird die Sonderstellung des Menschen auf diese Weise verstanden und begründet. Dabei geht die überwiegende Anzahl der Theologen davon aus, dass durch die Erbsünde das Bild Gottes im Menschen nur überdeckt oder nur zum Teil verloren gegangen ist. (So heißt es in einem Gregor dem Großen zugeschriebenen Messgebet: „Gott, der du die Würde des menschlichen Wesens wunderbar begründet und noch wunderbarer erneuert hast.“)
In einem ontologischen Verständnis, wie es bis in das Mittelalter vorherrschend war, gehört die Menschenwürde zum Wesen des Menschen, das die gesamte Menschheit kennzeichnet und auszeichnet. Demgegenüber beginnt in der Renaissance eine folgenreiche Umformung des Verständnisses von Menschenwürde, die bis heute nachwirkt: „Die Menschenwürde ist nun nicht mehr die Folge der menschlichen Natur, sondern resultiert aus seiner Fähigkeit zu Kultur schaffendem, von Vernunft geleitetem Handeln.“[6] Pico della Mirandola sieht in seinem Traktat über die „Würde des Menschen“ (1487) die Würde und die Gottebenbildlichkeit des Menschen in seiner Weltoffenheit, in seiner Fähigkeit, sich durch den freien Willen selbst zu bestimmen und sich selbst einen Ort in der Schöpfung zu suchen.
Menschenwürde zeigt sich im Handeln des Einzelnen, seiner schöpferischen Tätigkeit, in der der Mensch seine Gottebenbildlichkeit unter Beweis stellt. Damit wird Menschenwürde von einer Eigenschaft der Gattung zu einem Attribut des Individuums,des einzelnen Menschen. Zugleich fungiert die Vernunftbegabung des Menschen nicht mehr als metaphysisch-transzendentale Idee, sondern als empirisch ausweisbares Kriterium. Mensch ist, wer über Vernunft und die Fähigkeit zur Selbstbestimmung verfügt. Gesellschaftspolitisch folgt daraus die Forderung: Die Rechtsordnung muss jedem Menschen die Möglichkeit zu empirisch wahrnehmbarer Selbstbestimmung eröffnen.
Damit sind wir wieder beim Anfang der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte angekommen: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ Ohne Mühe lässt sich hier ein Menschenbild entdecken: das aus der griechisch-römischen Antike stammende Bild des Menschen als zoon logon echon (Alkmaion), als animal rationale, als vernunftbegabtes Lebewesen, das das abendländische Denken über Jahrhunderte geprägt hat: Menschen sind vor allem Vernunftwesen; sie haben ein Gewissen und sind somit zu moralischen Urteilen und einem dementsprechenden Handeln befähigt. Das zeichnet sie aus, das unterscheidet sie von Tieren.
Der Theologe Dietrich Ritschl sieht dieses, an den Fähigkeiten des Menschen orientierte Verständnis eingebettet in einer Bildwelt, die er wegen ihrer Ursprünge in der griechischen Antike als Athener Modell kennzeichnet. Hier ist der Mensch im Blick, der sich gleichermaßen in der Akademie wie in der Sportarena entfaltet, kräftig, jung, balanciert und glücklich. „Zwar … kennt die griechische Tragödie durchaus das Scheitern des Menschen, sein Versagen im Kampf mit sich selbst und den Versuchungen und Listen der Götter. Aber das antike populäre sowie philosophische Bild des Menschen ist doch das der Balance, des Ausgleichs, der vollen Selbstentfaltung in voller körperlicher und seelischer Normalität.“ [7]
Dieses Bild hat bis auf den heutigen Tag seine Attraktivität nicht verloren. Es hat über Jahrhunderte den Kampf für die Rechte des Individuums gegen kollektive Mächte inspiriert. Es leitet, offen oder unausgesprochen, zahlreiche humanwissenschaftliche Konzepte der Beratung und Entwicklung. Zugleich bemerken wir heute schon bei kurzem Nachdenken, wo die Grenzen, die problematischen Ränder dieses Menschenbildes liegen: Was ist mit dem Neugeborenen, bei dem Vernunft und Gewissen noch nicht aktuell, sondern lediglich potenziellvorhanden sind? Was ist mit dem Menschen, der seit Monaten im Koma liegt? Was ist mit dem noch ungeborenen menschlichen Leben, dem Embryo? Welche Würde hat er – und welche Rechte kommen ihm zu? Grundsätzlicher gefragt: Wie weit trägt ein Begriff menschlicher Würde, der Würde an Eigenschaften wie dem Vernunftbesitz oder, aktueller: an der Fähigkeit zur Selbstbestimmung und Artikulation von Interessen (P. Singer) festmacht?[8]
In den aktuellen Debatten der Bio- und Medizinethik sind diese Fragen von zentraler Bedeutung. Dass sie bei der Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1948, drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, noch nicht im Blick waren, dass damals andere Fragen im Vordergrund standen, verwundert nicht. Und so ist es auch keine Abwertung oder Infragestellung der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen insgesamt, wenn wir die oben formulierten Anfragen zum Anlass nehmen, den Zusammenhang von Menschenwürde, Menschenrechten und Menschenbild weiter zu bedenken.
Insbesondere in Deutschland haben die Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Euthanasieprogramm dazu beigetragen, das Bild des vernunftgeleiteten, zur Selbstbestimmung fähigen Menschen zu relativieren. Mit Verweis auf die biblischen Überlieferungen stellt Dietrich Ritschl dem Athener Modell ein anderes Menschenbild gegenüber, das er als Jerusalemer Modell bezeichnet. Auch in der Bibel finden wir das Bild des schönen, kräftigen und weisen Menschen, denken wir nur an Figuren wie David oder Salomo. Aber im Zentrum steht ein kleines Volk, steht der geschlagene Gottesknecht, eine Gestalt ohne Schönheit und Hoheit (Jes53), steht der gekreuzigte Jesus von Nazareth, der selbst in seinem Leben ein Kind in die Mitte gestellt und Gebrechliche und Randständige aus der Peripherie ins Zentrum geholt hat: ein gänzlich anderes Bild vom Menschen, weniger von Selbstentfaltung als von Beziehungsfähigkeit, Mitleiden geprägt, mit dem Blick für den Schatten und dabei nicht ohne Hoffnung, mit einer deutlichen Tendenz zur Umwertung der Werte: Das Kleine wird ganz groß. Das Schwache wird in seiner Stärke erkannt.[9]
Beide Menschenbilder, das Athener wie das Jerusalemer Modell, sind in der Geschichte des (von Antike und Christentum geprägten) europäischen Abendlandes lebendig gewesen. Beidebringen Wesentliches von dem zum Ausdruck, was Menschsein bedeutet; keines deckt die Gesamtheit dessen ab, was zum Menschen in seinen Möglichkeiten und seiner Wirklichkeit gehört. Insofern lassen sich die beiden Menschenbilder durchaus als komplementär, als sich wechselseitig ergänzend verstehen. Individuell kann es gelingen, mit beiden Modellen leben, etwa den eigenen Kindern volle Selbstentfaltung zu gönnen und zugleich das Liebenswürdige an ihnen auch in ihren Schwächen und ggf. Behinderungen wahrzunehmen. Wir kommen freilich um Entscheidungen nicht herum, wenn es um die Frage geht, was als „normal“anzusehen ist, worin das Maß des Menschen besteht. Das gilt für den Umgang mit Menschen mit Behinderungen, chronisch Kranken und Dementen, die Handhabung der pränatalen Diagnostik[10] wie die Beurteilung der Präimplantationsdiagnostik und hat Auswirkungen auf die Bildungs-, Gesundheits- und Sozialpolitik.
In der bio- und medizinethischen Debatte wird der Schutz der menschlichen Würde gerade für die eingeklagt, die aktuell weder über die Fähigkeit zu vernunftgeleitetem Handeln, noch zu Selbstbestimmung und Interessenartikulation verfügen.[11] Es geht darum, mit Hilfe des Begriffs der Menschenwürde „den Menschen aus seiner Unvollkommenheit zu definieren“[12], und der „Zerstörung des Verletzbaren“ zu wehren[13]. „Die Würde des Menschen ist von seinem Nutzen für andere ebenso unabhängig wie von seinen eigenen Interessen“, hält Wolfgang Huber fest.[14]
3. Menschenwürde als offener Leitbegriff
Nahezu bruchlos haben wir uns vom Thema Menschenwürde zum Thema Menschenbildbewegt. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Menschenwürde ist, verglichen mit den konkreten Attributen, die man als Kennzeichen eines bestimmten Standes, einer bestimmten Personengruppe anführen kann, etwas reichlich Allgemeines, nicht so leicht Greifbares. Deshalb der Drang, dieses Unanschauliche wenigstens etwas auszufüllen, indem man zur Erläuterung dessen, was mit Menschenwürde gemeint ist, ein Menschenbild oder jedenfalls Elemente eines Menschenbildes einführt. Das Grundgesetz verzichtet darauf. Anders als in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es in Artikel 1 lapidar: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Verlauf der Geschichte der Bundesrepublik zeigt freilich, dass der Begriff der Menschenwürde nur dann eine Entscheidungshilfe in strittigen Fragen ist, wenn er sich mit spezifischen Sichtweisen, Wertvorstellungen und Präferenzen verbindet. Ansonsten bleibt „Menschenwürde“ eine bloße Chiffre ohne orientierende Kraft. Ein Beispiel dafür: Um darüber urteilen zu können, welche Rechte z. B. dem noch ungeborenen Leben zukommen, muss ich menschenbildförmige Voraussetzungen in Anspruch nehmen, die nicht schon im „nackten“ Begriff der Menschenwürde per se enthalten sind, also etwa das Verständnis des Menschen als Geschöpf. Der Begriff der Menschenwürde an sich ist weitgehend unstrittig. In Konflikten handhabbar wird er jedoch erst, wenn er gefüllt und auf bestimmte Aspekte hin ausgelegt wird.[15]
Damit handelt man sich freilich ein Problem ein, das in pluralistischen Gesellschaften besonders manifest wird: Menschenbilder sind mehr oder weniger religiös bzw. weltanschaulichbestimmt, gefärbt, getönt. In dem Augenblick, wo Menschenwürde mit einem spezifischen Menschenbild verknüpft wird, entsteht die Gefahr, die Menschenwürdegarantie an bestimmte Begründungsmuster zu binden. Steht damit die Universalität der Menschenwürde auf dem Spiel? Wir haben es hier mit einem Dilemma zu tun, das nicht einfach aufzulösen ist.
Um dem beschriebenen Dilemma zu entkommen, möchte ich einen kleinen Umweg gehen. Ich versuche, bei den Aspekten, Dimensionen, Facetten des Menschseins anzuknüpfen, mit denen wir Menschenwürde üblicherweise verbinden. Was ist gemeint, wenn in aktuellen Konflikten auf Menschenwürde rekurriert wird?
Weitgehend Konsens in unserer Gesellschaft scheint zu sein, dass der Mensch nie nur Mittel, sondern immer auch Zweck ist (Kant). Jenseits dieser Gemeinsamkeit gleicht der im öffentlichen Diskurs kommunizierte Gehalt des Begriffs Menschenwürde einer Ellipse mit zwei Brennpunkten, um die sich jeweils benachbarte Motive und Symbole gruppieren.
Zum einen steht Menschenwürde in Verbindung mit dem Respekt vor dem Geheimnis des Lebens, mit dem, was wir das Unverfügbare nennen. Dazu gehört das Wissen darum, dass wir weder selbst die Schöpfer unseres Lebens sind noch einfach nur Produkte unserer Eltern. Dazu gehört die Erfahrung, dass der Anfang und im Regelfall auch das Ende unseres Lebens nicht in unserer Hand liegen. Das Wissen um die Verletzlichkeit des Menschen in einem umfassenden Sinne gehört hierzu, und die Notwendigkeit, menschliches Leben zu achten und zu schützen. Manchmal ist in diesem Motivzusammenhang, bejahend wie polemisch zugespitzt, von der Heiligkeit des Lebens die Rede. Dieses Denken wird häufig als religiösgekennzeichnet und sowohl auf die das Christentum wie das Judentum begründenden biblischen Überlieferungen als auch auf andere religiöse Traditionen zurückgeführt.
Der andere Brennpunkt ist die Autonomie, die Selbstbestimmung als herausgehobene Fähigkeit und zugleich als spezifische Aufgabe des Menschen. Diese Zuschreibung wird zumeist mit der Vernunftnatur des Menschen in Verbindung gebracht, mit der Fähigkeit zur rationalen Erwägung und zur Artikulation der eigenen Interessen. Die Würde des Menschen besteht demnach zuallererst in seiner Fähigkeit zur Selbstbestimmung und zum Vernunftgebrauch. Im Blick sind insbesondere die positiven Möglichkeiten des Menschen, als Ziel ihre Entfaltung. Unschwer ist hier das Erbe der Aufklärung und der Philosophie Kants zu erkennen.
In ethischen Debatten treten die beiden Brennpunkte der Ellipse, um im Bild zu bleiben, häufig weit auseinander. Je nach Standpunkt wird der eine oder der andere Aspekt argumentativ wie emotional aufgeladen und unmittelbar mit der Würde des Menschen gleichgesetzt. Ein Beispiel ist die Sterbehilfe. Identifiziere ich Menschenwürde mit Selbstbestimmung, dann bedeutet menschenwürdiges Sterben, dass ich, soweit es möglich ist, selbst über mein Sterben zu entscheide; eine Befürwortung der aktiven Sterbehilfe legt sich nahe. Verbinde ich die Achtung der Menschenwürde vor allem mit dem Respekt vor dem gegebenen und d.h. nicht (selbst) gemachten Leben, kommt es wesentlich auf das An- und Hinnehmen eines sich abzeichnenden Sterbeprozesses an. Das ist eine idealtypische Gegenüberstellung, die der Komplexität der Lebenswirklichkeiten auch nicht annähernd gerecht wird. Aber sie vermag die jeweils vorherrschende Tendenz im Verständnis von Menschenwürde deutlich zu machen.
Ich vermute: Intuitiv sind uns beide Brennpunkte des Leitbegriffs Menschenwürde wichtig; im einen Falle ist uns der eine Aspekt wichtiger, in der anderen Situation der andere. Keinesfalls zutreffend wäre die Annahme, religiöse Menschen seien generell weniger an Selbstbestimmung interessiert. Am Anfang der neuzeitlichen Menschenrechtsbewegung, zumindest in den Vereinigten Staaten, stand der Kampf gläubiger Christen um Religionsfreiheit, also um religiöse Selbstbestimmung.
Unrealistisch und unangemessen ist freilich ein Verständnis, das die Würde des Menschen einseitig oder gar ausschließlich von der Fähigkeit zur Selbstbestimmung her versteht. Keineswegs kommt uns diese Fähigkeit im Laufe unseres Lebens durchgängig zu; weder ist sie am Anfang, bei der Geburt oder in der frühen Kindheit einfach vorhanden noch in der Regel am Ende des Lebens. Da Menschsein immer leibliches Dasein ist, ist unsere Fähigkeit zur Selbstbestimmung abhängig von den Faktoren, die unsere leibliche Existenz bedingen und bestimmen, wie Gesundheit und Krankheit, und variiert vielfältig, etwa zwischen Wachsein und Schlaf. Lebensgeschichtlich ist Selbstbestimmung eingebettet in vorgängige, begleitende und nachfolgende Abhängigkeit, in Beziehungen, aus denen wir kommen und in denen wir stehen. Ein Verständnis von Menschenwürde, das diesen Tatbestand ausblendet und einseitig auf Autonomie fixiert ist, grenzt nicht nur zahllose Menschen aus, sondern transportiert auch eine abstrakte Sicht von Selbstbestimmung, so als könnten Individuen ihr Leben vom Anfang bis zum Ende isoliert voneinander führen.[16]
4. Menschenwürde und die Relationalität des Menschseins – eine christliche Sicht
Weiterführen kann hier eine Sicht, die Selbstbestimmung als eine Dimension der Relationalitätdes menschlichen Daseins versteht. Diese Relationalität, das Angewiesensein auf Beziehungen wiederum lässt sich gut von der Geburtlichkeit des Menschen her erhellen.
Der Mensch ist ein sterbliches Wesen. Das wissen wir alle. Unsere Lebenszeit ist begrenzt. Weniger betont wurde im abendländischen Denken, dass der Mensch ein geburtliches Wesen ist, ein Wesen, das durch Zeugung und Geburt in die Welt kommt. Durch die Geburt wird zweierlei manifest: Zum einen das Menschsein des einzelnen Menschen, das ihn mit allen anderen Menschen verbindet, zum anderen sein Sosein, seine unverwechselbare Individualität. Erst Hannah Arendt hat diesen Aspekt im vergangenen Jahrhundert gegenüber der Hervorhebung des Seins zum Tode bei Heidegger als relevant für das Verständnis des Menschen herausgearbeitet.[17]
Was für uns selbstverständlich klingt, hat weitreichende Bedeutung für das Verständnis von Menschenwürde und Menschenrechten. Gehört die Geburtlichkeit, die Natalität entscheidend zum Menschen, dann ist seine Würde nicht zu lösen von der Kontingenz seiner Existenz, dem Sosein seiner physischen-psychischen Existenz.[18] Jedes von Menschen geborene Leben ist menschliches Leben, ist von Anfang an Träger von Menschenwürde.[19] Diese Sicht berührt sich mit jüdischen wie mit christlichen Sichtweisen auf den Menschen, ohne auf eine einzige religiös-weltanschauliche Anthropologie festgelegt zu sein.
Natalität ist der grundlegende Aspekt der Relationalität menschlichen Lebens, der Eingebundenheit des Menschen in soziale Bezüge.[20] Die Übereinstimmung mit der jüdisch-christlichen Überlieferung besteht darin, dass der Mensch für die Bibel nur relational, d.h. in seinen Bezügen, in seiner Bezogenheit auf andere zu verstehen. Das ist gemeint, wenn es in der jüdisch-christlichen Tradition heißt: Der Mensch ist Geschöpf. Geschöpflichkeit bedeutet: Der Mensch ist nur, sofern er von woanders her und in Beziehungen zu anderen und zu sich selbst ist (vgl. Psalm 8).
Allem menschlichen Wollen und Tun liegt Relationalität zugrunde, allem menschlichen Wollen und Tun ist Bezogenheit vorgegeben. Für die Bibel steht unser Leben in drei Grundrelationen: a) in Beziehung zu den Mitmenschen und anderen Mitgeschöpfen, b) in Beziehung zu uns selbst, c) in Beziehung zu Gott als dem Gegenüber der Menschheit und der Welt. Demnach ist der Mensch nicht angemessen erfasst, wenn er beschrieben wird als ein für sich allein zu betrachtendes Einzelwesen, das sich zwischen verschiedenen Optionen bewegt – um eine aktuelle Gegenposition zu benennen. Für den christlichen Glauben ist der Mensch ein Lebewesen, das von anderen herkommt, mit anderen existiert, und darum weiß.
Alles, was die christliche Theologie über den Menschen sagt, lässt sich von hier entfalten. Dass der Mensch Gottes Ebenbild ist (Gen 1,26f.), dass es menschliche Existenz nicht ohne Verfehlung und Schuld gibt (Gen 3), und wir deshalb auf Gnade und Vergebung angewiesen sind, dass wir Menschen zur Liebe zueinander bestimmt sind (1. Joh 4, 7-21) – all dies hat damit zu tun, dass der Mensch und menschliches Leben ohne die genannten Beziehungen nicht wirklich zu verstehen ist. Darin, in diesem Gefüge von Beziehungen, hat der Mensch seine unverwechselbare und zugleich stets gefährdete Würde. Aus christlicher Sicht wird dem Menschen seine Würde von Gott zugesprochen, unabhängig von äußeren Voraussetzungen, menschlichen Fähigkeiten und Wesensmerkmalen. Dies „deckt sich mit der reformatorischen Einsicht in die Rechtfertigung allein aus Glauben.“[21].
Von daher ergeben sich drei grundlegende Aspekte der Menschenwürde:[22]
– Menschliches Leben ist immer fragiles, bedrohtes und fehlerhaftes Leben.
– Die Würde des Menschen basiert nicht auf bestimmten Eigenschaften oder Leistungen, sondern ist ihm unabhängig von seinen Wesenseigenschaften zuerkannt.
– Die ein für allemal zugesprochene Würde ist nicht wieder entziehbar, sondern unbegrenzt gültig. Sie kann durch den Träger der Würde weder veräußert noch verwirkt werden.
Verstehen wir die Würde des Menschen als Beziehungsbegriff, dann ist „sowohl dem Embryo als auch dem Hirntoten, erst recht aber Behinderten oder Schwerstkranken die Menschenwürde zuzubilligen. Denn jenseits aller eigenen Fähigkeiten können alle Genannten Gegenstand einer Beziehung werden, die ihre eigentümliche Würde begründet.“[23]
Der Versuch, die Menschenwürde so zu verstehen, geschieht nicht mit dem Anspruch, Menschenwürde ließe sich nur im Zusammenhang eines christlichen Menschenbildes verstehen. Nein, der Begriff der Menschenwürde ist unterschiedlicher Erläuterungen und Symbolisierungen zugänglich. Doch, wie schon gesagt, entscheidungs- und handlungsleitend wird der Begriff der Menschenwürde erst dann, wenn er gefüllt wird – durch Symbolisierungen, die je unterschiedliche Menschenbilder beinhalten. Für oder gegen Menschenbilder sprechen nicht zwingende Argumente, vielmehr strahlen Menschenbilder aus durch ihre Plausibilität und Orientierungskraft im gelebten Leben.
5. Die Wahrnehmung der Menschenwürde
Wir hatten erkannt, wohin es führen kann, Menschenwürde von bestimmten Merkmalen oder Eigenschaften abzuleiten.[24] Im Blick auf bestimmte, heute aktuelle ethische Fragen, geraten wir damit leicht in Konflikt zu der Intuition, die auch den im Koma Befindlichen als Gegenüber mit menschlicher Würde empfindet. Nach der Wahrnehmung vieler wird diese Intuition, diese Empfindung, umso stärker, je näher und intensiver der Kontakt zu Menschen in Grenzzonen des Lebens ist.
Die Wahrnehmung der Menschenwürde hat wesentlich mit Intuition, mit Empfindung und Gefühl zu tun und bedarf zugleich der Aufklärung durch Vernunft und der intersubjektiven Verständigung. „Ohne die Verankerung im Gefühl gäbe es keine intuitive Irritation angesichts von Verletzungen der Menschenwürde. Es könnte noch so rationale philosophische oder theologische Begründungen der Menschenwürde geben, sie würden in der Welt nichts bewirken. Der Menschenwürdegedanke kann nur insoweit in der Welt wirksam werden, wie sein Gehalt durch das Gefühl besetzt ist … Ohne die diskursive Klärung durch die Vernunft wüssten wir andererseits nicht, was als Verletzung der Menschenwürde einzustufen ist und was nicht … Emotionale Stabilisierung und diskursive Aufklärung müssen sich dabei ergänzen und wechselseitig stützen. …
Als ein unser Verhalten wirksam steuerndes Konzept ist sie [die Menschenwürde] im Gefühl verankert. Dieses bedarf jedoch der Vernunft, um sich in der Realität im Blick auf die Wahrung der Menschenwürde orientieren zu können. Die Vernunft muss darüber hinaus dafür sorgen, dass das Gefühl für die Menschenwürde sensibilisiert wird. Dabei ist sie bezüglich der Frage, in welche Richtung das Gefühl sensibilisiert werden soll, ihrerseits wiederum durch das Gefühl mitgesteuert, das die Vorstellungen hinsichtlich dieser Richtung bewertet.“ [25]
Zusammenfassend ist festzuhalten: Menschenwürde besagt, „dass der Wert des Menschen von all seinen Fähigkeiten und Qualitäten, im Positiven wie im Negativen, unabhängig ist.“[26]Im Begriff der Menschenwürde ist das Recht jedes Menschen auf Leben und sein Anrecht auf Anerkennung enthalten. Respekt für die Menschenwürde zeigt sich darin, dass jeder Mensch als Träger freier Selbstbestimmung und Mitbestimmung geachtet wird und dies auch rechtlich abgesichert ist. Dieser Respekt ist auch dort geboten, wo einem Menschen die Verwirklichung der freien Selbst- und Mitbestimmung noch nicht, zeitweilig nicht oder nicht mehr möglich ist.
Das ist die Grundlage der Menschenrechte. Sie kommen jedem Menschen zu, unabhängig von dem, was er oder sie geleistet hat oder leisten kann. Deshalb heißen sie Menschenrechte.
Menschenwürde ist keine Eigenschaft des Menschen unter anderen, keine empirisch nachweisbare Größe. Sie wird uns vielmehr zuerkannt. Wenn es in Artikel 1 des Grundgesetzes heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, dann wird damit keine Tatsachenbehauptung getroffen. Als solche wäre sie bereits zum Zeitpunkt ihrer Formulierung widerlegt gewesen. Vielmehr wird hier das Zuerkannt- oder Zugesprochensein der Menschenwürde als unhintergehbare Voraussetzung der staatlichen Ordnung insgesamt wie der Gesetzgebung im Besonderen gekennzeichnet. Dies geschieht mit dem Ziel, den Schutz der Menschenwürde als vorrangiges Ziel staatlichen Handelns in der Verfassung zu verankern. Insofern befindet sich die Menschenwürde immer in der Spannung zwischen Indikativ und Imperativ, zwischen der Feststellung, dass sie menschlichem Tun vorausgeht und sich menschlicher Verfügung entzieht, und dem Auftrag, sie zu respektieren und zu schützen.
Noch einmal: Zu sagen, worin die Menschenwürde wurzelt, führt unausweichlich in religiöse oder andere weltanschauungsförmige Begründungen und Symbolisierungen, die in einer pluralistischen Gesellschaft eben nur im Plural zu haben sind. Insofern können sie auch nicht selbst Teil der Menschenwürdegarantie eines säkularen Staates sein. Dass jedem Menschen Menschenwürde zukommt, muss freilich, auf welcher religiösen und weltanschaulichen Basis auch immer, faktische Zustimmung finden – damit Achtung und Schutz der Würde und der Rechte des Menschen kein bloßes Postulat bleiben. Dass diese Zustimmung beständig regeneriert wird, liegt wesentlich am Wirken „wahrheitssuchender Gemeinschaften“ (M. Welker).
Dies können Kirchen und andere Religionsgemeinschaften sein, aber auch andere zivile Vereinigungen, die die Fragen nach Wahrheit und Gerechtigkeit kontinuierlich wach halten und in Generationen, Geschlechter und ethnische Gruppen übergreifender Weise kommunizieren. Sie erfüllen ihre lebensdienliche Aufgabe nur dann, wenn sie kritikfähig bleiben, auch gegenüber ihrer eigenen perspektivischen Wahrnehmung. Auch hier gilt das bekannte Diktum von Ernst-Wolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“[27] Pädagogik hat hier keine geringere Aufgabe, als nachhaltig für die Grundlagen unseres Miteinanders zu sensibilisieren. Sie kann es nur im Zusammenspiel mit Wahrheitsauffassungen und Wertorientierungen, die stets persönlich zu vertreten und zu bewähren sind.
[1] Vortrag bei der EFWI-Tagung „Werte und Wertevermittlung in der politischen Bildung“ – 11. Tage der politischen Bildung am 4. Oktober 2010 in Landau.
[2] Zit. nach JöR N.F. 1 (1951)
[3] Dieses Verständnis öffnet die Diskussion über den historischen Ursprung des Menschenrechtsdenkens im Westen hin zu der Einsicht, dass der Kampf für Menschenwürde und Menschenrechte nicht an eine Kultur gebunden ist.
[4] Rainer Anselm: Die Würde des gerechtfertigten Menschen. ZEE 43, 1999, S. 123-136, S. 132 mit Bezug auf Peter L. Berger.
[5] Nachweise bei Anselm, ebd.
[6] Anselm, S. 128. Auch die folgende Zusammenfassung bezieht sich auf die Darstellung bei Anselm.
[7] Logik der Theologie. München 1984, S. 86f.
[8] Ernst Benda: Wenn man sich an einem „Idealbild“ des Menschen orientiert, dürften sich „gerade besonders schutzbedürftige Personengruppen eigentlich nicht auf Art. 1 GG berufen.“ In: Ernst Benda: Die Menschenwürde, in: Ders. (Hg.), Handbuch des Verfassungsrechts, Berlin 1983, S. 107-128, 114.
[9] Dem korrespondiert der von Auschwitz geprägte Appell Primo Levis in: Ist das ein Mensch? Die Atempause. München 1991, S. 9:
Ihr, die ihr gesichert lebet
In behaglicher Wohnung;
Ihr, die ihr abends beim Heimkehren
Warme Speise findet und vertraute Gesichter:
Denket, ob dies ein Mann sei,
Der schuftet im Schlamm,
Der Frieden nicht kennt,
Der kämpft um ein halbes Brot,
Der stirbt auf ein Ja oder Nein.
Denket, ob dies eine Frau sei,
Die kein Haar mehr hat und keinen Namen,
Die zum Erinnern keine Kraft mehr hat,
Leer die Augen und kalt ihr Schoß
Wie im Winter die Kröte.
Denket, dass solches gewesen.
[10] Beobachtet wird, dass die routinemäßige Anwendung der pränatalen Diagnostik den Druck auf Eltern erhöht, die Schwangerschaft bereits bei kleinen Normabweichungen des ungeborenen Kindes abbrechen zu lassen.
[11] Anselm, S. 130.
[12] Ernst Benda: Erprobung der Menschenwürde am Beispiel der Humangenetik, in: Rainer Flöhl (Hg.), Genforschung – Fluch oder Segen. Interdisziplinäre Stellungnahmen, München 1985, S. 205-231, 231.
[13] Wolfgang Graf Vizthum: Die Menschenwürde als Verfassungsbegriff, in: Juristenzeitung 40 (1985), S. 201-209, 209.
[14] Wolfgang Huber: Heiligtum oder Ersatzteillager. Die Würde des Menschen wiegt mehr als sein Nutzen, in: Evangelische Kommentare 29 (1996), S. 131-132, 132.
[15] Anselm, S. 124: „Als nicht begründungspflichtiges, intuitiv einleuchtendes Prinzip genießt die Menschenwürde wie keine andere ethische Norm allgemeine Akzeptanz.“ „Sie ist als Orientierungsbegriff ebenso weltanschaulich neutral wie sie an ein bestimmtes Wertesystem gebunden werden muss, soll sie tatsächlich entscheidungsleitend für staatliches wie gesellschaftliches Handeln sein… Was im einzelnen als menschenwürdig angesehen wird, ist nicht allein aus dem Begriff der Menschenwürde deduzierbar.“
[16] Für das Verständnis der Menschenrechte bedeutet dies, die Menschenrechte als Freiheitsrechte des Individuums ernst zu nehmen, ohne auszublenden, dass Freiheitsrechte zu ihrer Realisierung auf institutionelle Sicherungen angewiesen sind, zu deren angemessener Gestaltung wiederum die potenzielle Teilhabe aller Mitglieder der Gesellschaft eine wesentliche Bedingung darstellt.
[17] Vgl. Karin Ulrich-Eschemann: Vom Geborenwerden des Menschen., Münster 2000; Ludger Lütkehaus: Natalität. Philosophie der Geburt, Zug, 2006.
[18] Wilfried Härle: Dogmatik. Berlin 1995, S. 433f.: „Alles, was (durch Geburt) vom Menschen abstammt, ist selbst Mensch – vom ersten bis zum letzten Augenblick seines Daseins –, und niemand hat das Recht, ihm dies abzusprechen. Das Recht, ein Mensch zu sein, wird einem Kind auch nicht erst durch seine Akzeptanz seitens der Eltern verliehen (und könnte dementsprechend u. U. auch wieder entzogen werden).“
[19] Wo dieser Anfang zeitlich anzusetzen ist, ist Thema einer eigenen Diskussion. Diese ist freilich nur dann fruchtbar, wenn zugestanden wird, dass dieser Anfang biologisch nicht eindeutig bestimmbar ist, sondern durch ethisch orientierte Zuschreibung erfolgen muss.
[20] In der embryonalen Phase konstituiert sich diese Bezogenheit in der Mutter-Kind-Dyade.
[21] Anselm, S. 134.
[22] Rainer Anselm: Menschenwürde als regulatives Prinzip in der Bioethik, in: Nikolaus Knoepffler/Anja Haniel (Hg.): Menschenwürde und medizinethische Konfliktfälle. Stuttgart/Leipzig 2000, S. 221-226, 224f.
[23] Anselm, Die Würde des gerechtfertigten Menschen (s. Anm. 3), S. 133.
[24] Dies gilt auch für die Ableitung aus der Gottebenbildlichkeit des Menschen, sofern damit, wie es in der Traditionsgeschichte zumeist geschehen ist, auf bestimmte Wesensmerkmale des Menschen rekurriert wird.
[25] Johannes Fischer: Menschenwürde, Rationalität und Gefühl, ZEE 50, 2006, S. 29-42, S. 39f.: „Gerade weil die rationalen Begründungen der Universalität der Menschenwürde nicht nur in sich notorisch schwach sind, sondern aus sich selbst auch nichts bewirken können, muss diese Schwäche auf der Ebene der emotionalen Sensibilisierung für die Menschenwürde kompensiert werden in dem Sinne, dass alle Menschen unabhängig von ihrer Hautfarbe und ihrem Herkommen darin einbezogen sind.“
[26] Ebd., S. 134.
[27] Ernst-Wolfgang Böckenförde: Staat, Gesellschaft, Freiheit. Frankfurt 1976, S. 60.
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