Max Krumbach
Sundahlstraße 1, 66482 Zweibrücken
Unter dem Thema „In der Kraft des Heiligen Geistes. Selbstverständnis und Praxis charismatischer und pfingstlicher Seelsorge“ veranstaltete sipcc[1] in Zusammenarbeit mit der Missionsakademie das 23. Internationale Seminar für Interkulturelle Seelsorge und Beratung 2011 in Hamburg. Die einzelnen Schwerpunkte waren: Die Kraft des Heiligen Geistes – Einführung in die charismatische und pfingstliche Spiritualität; die heilende und erneuernde Kraft des Geistes; Befreiung – die Überwindung böser Mächte; wir kommen aus unterschiedlichen Traditionen – wir lernen voneinander.
Aus der Vielzahl unterschiedlicher Beiträge greife ich zwei heraus.
Daniel Chiquete, Mexiko, erwies sich in seinem Referat„Das Herz charismatischer und pfingstlicher Spiritualität: Eine Einführung“ als ein einfühlsamer Brückenbauer zwischen kontinentaleuropäisch-protestantisch geprägter Frömmigkeit und der Vielfalt lateinamerikanisch-pfingstlerischer Erfahrungen.
Wo Menschen Glaube und Leben eng verbunden erfahren, werden Theologie und Spiritualität quasi synonyme Begriffe. Man kann die Pfingstbewegung als Teil des evangelisch-protestantischen Christentums in seiner großen Bandbreite verstehen, da sie grundlegende Dogmen ungefragt übernommen hat. Die Verschiedenheit der konfessionellen und kulturellen Kontexte, in denen die Pfingstbewegung entstanden ist und sich etabliert hat, schlägt sich in der Vielfalt der Erscheinungsformen nieder, die wiederum Unterschiede in Theologie und Spiritualität zur Folge haben. „Was die Pfingstkirchen einigt, ist keine Doktrin, sondern ein religiöses Erlebnis, aber ein Erlebnis, das sehr kontrovers interpretiert wird.“ Dieses Erlebnis wird als „persönliche Begegnung mit dem Göttlichen“, „Bekehrung, Neugeburt, Neustart, Lebensumgestaltung u.a.“ benannt. Sie schließt „eine existentielle Entscheidung der Person ein“. Diese Umgestaltung bewirkt der Heilige Geistes, der als eine Kraft der Erneuerung verstanden wird. Sie ist nicht nur Folge der eigenen Entscheidung.
Chiquete meint im Gegensatz zu einer verbreiteten Außenperspektive, „dass die Pfingstspiritualität so „christologisch” wie die ganze protestantische Tradition ist. Für die Pfingstler ist der Heilige Geist das Vehikel der lebendigen und realen Präsenz des auferstandenen Christus.“ Das „fundamentale Erlebnis der Begegnung mit Gott“ wird in Übereinstimmung mit klassischen protestantischen Theologoumena zum „Ausdruck der bedingungslosen Annahme durch Gott“, zur „Rechtfertigung, als Anfang eines neuen Lebens, oder Heiligung“ und zum „Empfang einer neuen Kraft, die den Gläubigen hilft, das neue Leben inmitten einer feindseligen sozialen Umwelt zu führen und in den neu gewonnenen Überzeugungen zu beharren“.
Angesichts der sozio-ökonomischen Bedingungen, in denen das Leben vielen Gefahren ausgesetzt ist, bewertet „die Mehrheit der Pfingstler“ „ihr Bekehrungserlebnis grundsätzlich als ein therapeutisches Erlebnis“. Es wirkt heilend, verwandelnd sowohl für einzelne in ihrem seelischen und leiblichen Leiden als auch für Familien, soziale Beziehungen und Lebensbedingungen.
„Die Heilung hat in der Pfingstbewegung ein großes theologisches, emotionales, geistliches und politisches Gewicht.“ Sie vermittelt die Gewissheit, von Gott angenommen zu sein. Die Glaubenserfahrung wird dort verortet, wo sich Gott, Mensch und Gesellschaft begegnen: im Leib. Die geistgewirkte Heilung setzt der Hoffnungslosigkeit und dem Leiden ein Bild gelingenden Lebens entgegen.
„Was eine Kirche ausmacht, ist nicht die Zustimmung zu einem gemeinsamen Credo, sondern die gemeinsame Teilnahme am Erlebnis der Begegnung mit dem auferstandenen Christus in der Kraft des Heiligen Geistes. Was eine Person bei dem Eintritt einer Pfingstkirche bestimmt, ist nicht die Annahme einer Lehre, sondern ein Erlebnis mit Gott.“ An diesem Punkt berühren sich Erfahrungen der Pfingstbewegung mit undogmatischen Strömungen des Protestantismus bis hin zur Wellnessreligion mit ihren esoterischen Elementen. Was sie davon unterscheidet ist die zentrale Bedeutung der Kirche als Gemeinde. Sie wird zum „Zentrum des geistlichen und sozialen Lebens“, zum „Ort des Festes und der Freude, des Wachstums im Glauben.“ Gemeindeleben und Gottesdienst beanspruchen einen zentralen Platz im Leben.
Chiquete lehnt die Vorstellung ab, die Pfingstbewegung sei „hauptsächlich an einer außerweltlichen Zukunft orientiert“. „Der Kern der Pfingstpredigt ist das Angebot eines Heils hier und jetzt“, nicht die „Verheißung eines zukünftigen Heils, sondern die Gewissheit einer präsentischen Erlösung.“ „Die Pfingstler vergleichen nicht prinzipiell die Gegenwart mit der Zukunft, sondern die Gegenwart mit der Vergangenheit: eine Gegenwart der Heilung und des Heils, des erretteten, zurück gewonnenen Lebens gegenüber einer Vergangenheit des Verderbens.“ Die chiliastischen Elemente in pfingstlerischen Erfahrungen drängen auf leibhaftige gesellschaftliche Veränderungen. „Die Ankündigung, dass Christus wieder kommt, ist eine politische Aussage, eine implizite Disqualifizierung der weltlichen Mächte, die unfähig sind, das Leben in Gerechtigkeit und mit Wohlsein für alle zu schaffen. Die pentekostale Eschatologie ist keine Weltflucht, sie ist eine gläubige Verkündigung, den einzigen zu erwarten, der die Gerechtigkeit errichten kann: nämlich Christus. Die pentekostale Eschatologie ist keine Einladung zur politischen Passivität, sondern ein kritischer Ruf gegen die ungerechte Organisation dieser Weltordnung.“
Chiquete sieht das “Wiederaufleben religiöser Formen” kritisch. Er beobachtet in der lateinamerikanischen Pfingstbewegung “eine Inflation von religiösen Manifestationen”, die seiner Meinung nach kaum einen Anhalt an der Bibel, der kirchlichen Tradition oder dem gesundem Menschenverstand haben wie z.B. “heiliges Gelächter, Wiederherstellung des apostolischen Amtes, Theologie des Erfolges, geistlicher Krieg, Saat im Glauben, positives Bekenntnis“.
„Zusammengefasst könnte ich behaupten, dass es vier unumstößliche theologische Lehren der pentekostalen Theologie gibt, die fast in allen ihren Richtungen anwesend sind, ich meine das sogenannte ‘viereckige Evangelium’, das besagt: Christus erlöst, heilt, tauft mit dem Heiligen Geist und wird wieder kommen. Diese vier Elemente waren auch die doktrinäre Basis aller religiösen Erneuerungsbewegungen des 19. Jahrhunderts in den USA. Die Pfingstbewegung ist mit ihnen geboren, und hat nur die Glossolalie, als Zeichen der Taufe mit dem Heiligen Geist, hinzugefügt. Aber diese Lehre ist nicht unumstritten in der gegenwärtigen Diskussion.“
Sein Blick auf die lateinamerikanische Pfingstbewegung schließt mit Sorgen und Hoffnungen. „Meine Sorge ist im allmählichen Verlust seiner historischen Merkmale begründet. Es gibt rasche Veränderungen, die das pentekostale Gesicht verwandelt haben und von denen wir nicht wissen, wohin sie uns bringen. Meine Hoffnung besteht darin, dass wir diese Tendenz korrigieren können, weil es innerhalb der Pfingsttradition viele Geister und Stimmen gibt, die die Bewegung auf den Weg in Richtung Reifung, Konsolidierung, Erneuerung und Teilhabe an der Ökumene bringen möchten. Das letzte Wort werden Gott und die Geschichte haben.“
Kunstinstallationen, die zwischen Künstler, Objekt und Betrachter eine Interaktion erzielen, Gefühle wecken, die Sinne anregen, die Passivität überwinden, also einen kreativen Prozess auslösen, dienen Mary Rute Gomes Esperandio, Brasilien, als Bezugspunkt für ihre Beobachtungen.
Angesichts der Verschiedenheit der Arbeitsformen, Begegnungen und Auseinandersetzung mit pfingstlerischen Erfahrungen und Überlegungen vom gemeinsamen Gebet bis zu kritischen Rückfragen im Rahmen des Seminars erweist sich der von Fernando Pessoa (1888-1935) geprägte Begriff „outramento“, die Erfahrung der Andersheit oder des Anderssein in der eigenen Person, als fruchtbar für die Weiterarbeit.
Die Anfragen richten sich an uns selbst und die Herausforderungen, denen wir begegnen. Es fragt sich, wie eng oder weit der eigene Bezugsrahmen in der Seelsorge ist: Ist mein Bibelverständnis – in der Gewissheit vom Heiligen Geist geleitet zu sein – in erster Linie von Empfindungen, Gefühlen und Intuitionen geprägt? Ist die einzige Grundlage der Seelsorge der Heilige Geist? Sehe ich das Wirken des Heiligen Geistes in einem unüberbrückbaren Gegensatz zu dem Beitrag der Humanwissenschaften? Gebe ich dem Heiligen Geist Raum zu wirken oder versuche ich sein Wirken einzugrenzen, um die Kontrolle zu behalten?
Esperandio weist auf die Falle hin, in die man bei der Berufung auf den Heiligen Geist tappt, wenn er dazu missbraucht wird, die eigenen Grenzen zu übersehen, Veränderungen, eigene Zweifel und Unsicherheiten zu vermeiden.
Welche Folge hat das Nachdenken über die pfingstlerische Praxis für unsere eigene Seelsorge? Was bedeuten für uns Gefühle, Affekte, Empfindungen, Schuld und Exorzismus?
Sie verweist auf die unterschiedlichen Kontexte, in denen der klassische Protestantismus und die Pfingstbewegung entstanden sind: auf den Zusammenhang mit dem Humanismus im 16. Jahrhundert, im 20. Jahrhundert auf das Erschrecken, dass die Vernunft die Barbarei nicht verhindern und das Überleben in weiten Gebieten der Erde nicht sichern konnte.
Wenn pfingstlerische und neopfingstlerische Bewegungen sich ausschließlich auf Gefühle, Affekte und Empfindungen gründen, kommt es leicht zu einer aus der therapeutischen Arbeit bekannten Verwechselung oder Vermischung ihrer Wirkungen mit dem Wirken des Heiligen Geistes. Hieraus ergeben sich Spannungen, die sich auch in persönlichen Begegnungen entladen. Protestantische Seelsorge versteht kaum die Bedeutung der Gefühle und Affekte, die bei der religiösen Erfahrung von Pfingstlern eine Rolle spielen. Pfingstler dagegen befürchten, dass auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Erfahrungen dem Heiligen Geist keinen Raum lassen.
Wir neigen dazu, die Erfahrung des anderen auf der Grundlage unserer eigenen Erfahrung zu legitimieren. Wir vergessen leicht unsere Einzigartigkeit und die vielfältigen Weisen, auf die uns Gott berühren kann. Auf dem Berg Horeb begegnet Gott Elia auf unterschiedliche Weise und schließlich völlig unerwartet im sanften stillen Säuseln. Das kann als Beispiel dafür dienen, auf unterschiedliche Weisen zu glauben und mit religiösen Erfahrungen umzugehen.
Zusammenfassend: „In meiner Sicht besteht von jetzt an eine Herausforderung darin, dass die auf Erkenntnis gegründete religiöse Erfahrung allmählich an Bedeutung verliert. Stattdessen werden Gefühle (emotion) und vor allem Empfindungen (sensation) eine wichtigere Rolle spielen. Das wirkt sich auf Seelsorge und Beratung aus z. B. bei der Rolle, die Exorzismus und Schuld spielen. Man muss auch darüber nachdenken, welche Bedeutung in der Seelsorge Empfindungen zukommt.“
In der Begegnung mit Pfingstlern und bei der Auseinandersetzung mit pfingstlerischen Erfahrungen erleben die Beteiligten Unterschiede, die tiefe Verunsicherungen und Spannungen auslösen. Es ist wichtig sich daran zu erinnern, dass es im Umgang mit dem „outramento“, der Erfahrung der Andersheit oder des Anderssein in der eigenen Person, zu Erfahrungen des Unterschiedes kommt. Schöpferisch und verändernd fördern sie Heilungsprozesse und helfen das Festhalten an schädigenden Lebensweisen zu überwinden.
Beim Ausloten der auftretenden Spannungen zwischen einer kontinentaleuropäisch konfessionell geprägten Seelsorge und Theologie einerseits und pfingstlerischen Erfahrungen und Reflektionen andererseits, die in einem uns weitgehend fremden Kontext erwachsen sind, bieten Paul Tillich, „Die Bedeutung der Kirche für die Gesellschaftsordnung in Europa und Amerika“[2] und Dietrich Bonhoeffer, „Protestantismus ohne Reformation“[3],eine erste Hilfestellung. Sie sensibilisieren für eine Differenzerfahrung, die aller interkulturellen Arbeit eigen ist. Für die Zuordnung und Einordnung in den angelsächsischen Protestantismus bieten die Beiträge, in dem von Timothy Larsen und Daniel J. Treier herausgegebene Sammelband zur Evangelikalen Theologie hilfreiche Einführungen.[4]
Terry L. Cross weist in seinem Beitrag auf Punkte hin, in denen sich sowohl Nähe und Gemeinsamkeiten als auch Abstand zu Daniel Chiquetes Referat ergeben. „Whatever a person’s response to Pentecostalism, a surge of interest in the Spirit has been spawned by this movement.”[5] “Evangelicals cannot afford to mistake their experiences and their spirituality as for the Holy Spirit. However that being said, evangelicals must also not squelch the Spirit’s activity – as if the Spirit only behaves in a way that is tame and bourgeois. As humans who are asked to dedicate their entire lives to God, believers have a capacity not just for intellectual understanding but also for emotional, spiritual, and sensory ’understanding’”[6]. “For evangelicals … the Good News is not just preached, but lived in the power of the Spirit.”[7]
Die Identifikation der evangelicals[8] und Pfingstler mit tief verwurzelten Vorurteilen oder auch Ängsten kann bei kontinentaleuropäischen Theologen reflexhaft vorgetragene Abwehrbewegungen auslösen. Diese verstellen den Blick auf Formen eines Christen- und Kirchenturms, das bei einem Großteil unserer Gemeindeglieder und der Pfarrerschaft ein Unbehagen erzeugt. Vielleicht hängt die Heftigkeit dieser Abwehr damit zusammen, dass wir mit
blinden Flecken der eigenen Theologie und Frömmigkeit konfrontiert werden und die Erfahrung der Differenz nur in homöopathischen Dosen ertragen.
[1] Gesellschaft für interkulturelle Seelsorge und Beratung
[2] P. Tillich, Die Bedeutung der Kirche für die Gesellschaftsordnung in Europa und Amerika, in P. Tillich, Das religiöse Fundament des moralischen Handelns Schriften zur Ethik und zum Menschenbild GW 3, R. Albrecht hg., Stuttgart 1965, 107 – 119
[3] D. Bonhoeffer, Protestantismus ohne Reformation, in D. Schulz, hg., Illegale Theologenausbildung: Sammelvikariate 1937 – 1940, DBW 15, Gütersloh 1998, 431 – 460
[4] T. Larsen, D.J. Treier, hg., The Cambridge Companion to Evangelical Theology, Cambridge, New York, Melbourne, Madrid, Cape Town, Singapore, Sao Paulo, 2007
[5] Terry L. Cross, The Holy Spirit, in T. Larsen, D.J. Treier, aaO, 93 – 108, 93
[6] aaO, 100
[7] aaO, 104
[8] Ich vermeide die deutsche Übersetzung evangelikal, weil sie die politische und gesellschaftliche Dimension des englischen Begriffs ausblendet.
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