Wie Schafe mitten unter die Wölfe

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Jan Josef Hinrichs
Friedrich-Ebert-Straße 9, 35039 Marburg

Ulrich Schoenborn, Wie Schafe mitten unter die Wölfe. Die Bekennende Kirche Ostpreußens und Dietrich Bonhoeffers Visitationsreisen 1940, GRIN Verlag München 2012; zahlreiche Abb., br., 272 Seiten, 49,99 Euro, ISBN 978-3-656-26115-5.

Wie der politische bzw. militärische Widerstand gegen das NS-Regime zu den Gründungsmythen Nachkriegsdeutschlands gehörte, so wird auch der sog. Kirchenkampf, d.h., der Wider­stand protestan­tischer Kreise gegen den Na­tio­nal­sozialismus und seine kirchlichen Hilfstruppen zu den kon­stitutiven Faktoren beim Aufbau der Evange­lischen Kirche nach 1945 ge­zählt. Gründungserzählungen und Gründungsmythen kommt hohe Plausibilität zu. Sie hal­ten ihre bloße Wie­der­holung aber nur be­grenz­te Zeit aus. Wird ihnen jedoch ein heiliger Sta­tus beigelegt, der Nachfragen (wenn Widersprüche entdeckt wurden) und Diskussion (wenn neue Erkenntnisse es nahe legen) ver­bietet, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die un­historische Monumentalisierung einstürzt.

Der Begriff „Kirchenkampf“ bezieht sich, allgemein verstanden, auf die Jahre zwi­schen 1933 und 1945, in denen das Verhältnis zwischen Evangelischer Kirche in Deutschland und dem Natio­nalsozialismus von Konflikten bestimmt war. Zugleich steht der Begriff für die innerkirchlichen Kontroversen. In jener Zeit stand die Evan­ge­lische Kirche dem Staat keineswegs als homogener Block gegen­über.

Gegenwärtig ist die Erforschung des Kirchenkampfes nach 1945 selbst zum Gegen­stand der Forschung geworden. U. a. wird dafür plädiert, auf den Begriff als Epo­­chen­be­zeichnung zu verzich­ten oder ihn nur in einem präzis ein­gegrenzten Sinne zu gebrauchen. Diese Vorschläge sind nicht von der Hand zu weisen.

Angesichts der komplexen Semantik, die dem Begriff „Kirchenkampf“ inne­­wohnt, liegt es nahe, eine Alternative zu wählen. Der Autor empfiehlt, stattdessen. den Begriff „Be­kennende Kirche“ zu wählen, weil sich in ihm theologische wie poli­tische, individuelle wie communitäreFaktoren verschränken. Zugleich wird man hier mit einem „ideologischen clash“ konfrontiert, der die Epoche prägte und sich in der Nachkriegszeit in veränderter Gestalt wiederholte.

„Bekennende Kirche“ (= BK) sollte aber nicht als „Zauberschlüssel“ miss­ver­stan­den werden. Denn auch sie ist nie ein homogener Block gewesen und hat erst in der Reaktion auf bestimmte kirchenpolitische Schritte und theologische Provoka­tionen wäh­rend der NS-Zeit ihr Selbstverständnis gewonnen.

Der Titel „Bekennende Kirche“ steht den Gemeinden und ihren Theologen zu, die kompromisslos an den Synodal­beschlüssen von Barmen und Dahlem (1934) fest­gehalten haben und ohne falsche Rücksichtnahme dem Ver­kündigungs- und Handlungsauftrag des Evangeliums gefolgt sind. Mit ihrer Existenz haben sie einen nicht unerheb­lichen „Störfaktor“ in den NS-Staat hinein­­getragen, der das bloße Faktum „christliche Gemeinde“ um etliches gesteigert hat. In der schlich­ten Realität von Kirche sah der NS keine Gefahr, umso heftiger waren die Reak­tionen auf die Bekennende Kirche als „Sammel­becken protestantischer Widersetzlichkeit“ (G. van Norden). Es ging aber um mehr als ‚Querulantentum’. Mit ihrem Leben und Glauben haben die beken­nenden Gemeinden „eine alternative Ge­gen­welt“ offen gehalten.

In seiner Studie verbindet Ulrich Schoenborn zwei Pole, eine geographische Region und einen Theologen: Ostpreußen und Dietrich Bonhoeffer. Letzterer ist durch seine Wirksamkeit post mortem bekannt und berühmt geworden. Seine von Eberhard Bethge u.a. edierten Werke sowie die unübersehbare Fülle von wissen­schaft­licher und populärer Literatur haben ihn zu einem der bekannte­sten Theo­logen des 20. Jahrhunderts gemacht. Anders Ostpreußen. Seit 1945 ist die Pro­vinz mit jedem Jahr tiefer in das Vergessen eingegangen. Das haben auch die vielfältigen Bemühungen, eine Erinnerungskultur zu schaf­fen, nicht verhindern können. Standen sie doch unter dem Verdikt reak­tio­närer Unbe­lehrbarkeit bzw. dem Vorwurf nur noch „ge­brochene Erinnerung“ ohne Perspektive zu kul­ti­vieren.

Die kirchenhistorische Erforschung der Jahre von 1933-1945 in Ost­preußen hat von Be­ginn an mit mehreren Hypotheken gearbeitet. Im Unter­schied zu den Landeskirchen im Westen war der Zugriff auf Quellen, Do­ku­mente, Über­lieferungsmaterial o.ä. höchst begrenzt. Ebenso der Perso­nenkreis, der in der Lage war, sich an dieser Aufgabe zu beteiligen. Vor einer wissen­schaftlichen Arbeit standen Trauerarbeit und Fragen des Überlebens. In vielen Veröffent­lichungen dominierten emotio­nale Töne oder auch Selbst­recht­ferti­gungen. Eine Aus­nahme bildeten wohl Hans Joachim Iwand und sein Versuch, in Beienrode ein Zentrum des ehemaligen ost­preußischen Bruderrates auf­zu­bauen.

Auch nach der po­liti­schen Wende 1990 hat sich die Forschungs­situation kaum ver­än­dert. Das Vor­kriegs-Ostpreußen scheint zur „terra incog­nita“ gewor­den zu sein. Städte- und Ortsnamen sind belanglos geworden, weil mit ihnen nichts mehr assoziiert wird. Ebenso die einstige Bedeutung für Philosophie, Theo­logie und Frömmig­keit (Kirchenlieder). Und das Reisen in die heute russi­schen bzw. pol­nischen Teile der Provinz konfrontiert zunächst mit anderen Wahr­neh­mungen und Re­fle­xio­nen. Zwischen dem Reisenden und der Ge­schich­te steht immer noch die gefühlte Präsenz des Zweiten Weltkriegs.

In dieser Studie wird der Weg der Bekennenden Kirche in Ostpreußen bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs kritisch nachgezeichnet. Führende Persön­lichkeiten werden ebenso skizziert wie das spannungsvolle Verhältnis zur BK im „Reich“. Visuelles Material unterstützt die diskursive Darstellung. Vor die­sem Hintergrund wird Bonhoeffers Wirken 1940 in Ostpreußen entfaltet.

Als Orte seines Wirkens werden in der Regel Berlin, die deutschen Ge­mein­den in Barcelona und Lon­don, die USA oder das Predigerseminar der Be­ken­nenden Kirche in Finken­walde(Pommern) genannt. Doch hat er seine Akti­vitäten als Seel­sorger, Pre­diger und Lehrer auch entfalten können, als er im Sommer 1940 im Auftrag des Bruderrates der BK drei Visitationsreisen in Kö­nigsberg und Ost­preußen durchgeführt hat.

Nach herkömmlicher Definition ist unter „Visitation“ der „Besuch eines Oberen mit Aufsichtsbefugnis zum Zweck der Bestandsaufnahme und Normenkontrolle“ zu verstehen. Seit dem 16. Jahrhundert waren Visitationen effektive Instrumente zur Verbreitung und Durch­setzung reforma­torischen Gedankenguts. Bonhoeffer sollte in Ostpreußen keine dienstaufsichtlichen Begutachtungen durchführen. Vielmehr vertrat er die geistliche Leitung der Evangelischen Kirche im Sinne der BK. Seine Besuche hatten zum Ziel, die Glaubwürdigkeit der Verkündigung zu fördern und die Wahr­haftigkeit des Glaubens in den Ge­meinden zu ermutigen. Von außen sollten die in der Provinz zerstreuten Gemeinden Unterstützung im Kampf gegen ideologische Verwirrung bekommen. Bei­spiele von Wankelmut, Verführbarkeit und Opportunismus gab es mehr als genug. Auch galt es, den Ein­schränkungen, die den Gemeinden durch die NS-Politik ausgesetzt waren, im Namen des Evan­geliums zu widersprechen und zu widerstehen. Die Verbindung von Glauben und Leben bedurfte seelsorglicher Pflege und Fürsprache.

Bonhoeffers Kalender aus dem Jahr 1940 enthält knappe Hinweise zu drei Aufenthalten in Ostpreußen. Zusammen mit Eberhard Bethge besuchte er auf der ersten und zweiten Reise von Kö­nigsberg (ein Kapitel der Studie befasst sich mit Bonhoeffers Eltern und deren Königsberger Hintergrund) aus u.a. Tilsit, Memel, die Elchniederung, Gumbinnen, Eydtkuhnen. Eine synoptische Lektüre von datierten Texten aus Bonhoeffers Werk erlaubt inhaltliche Zu­ordnungen. Von einer christo­zentrischen Theologie her, wie sie 1934 in Barmen und Dahlem konzipiert wurde, hat er gegen die religiös-säkulare „Doppelgläubigkeit“ (M. Gailus) Stellung bezo­gen. Die dritte Reise musste Bonhoeffer abbrechen, weil die Gestapo von dem Unternehmen Kenntnis bekommen hatte.

In Ostpreußen ging der Weg der BK weiter. Bonhoeffer selber wechselte die „Wegspur“, er übernahm eine Funktion in der Abwehr (Amt Canaris). M.a.W.: Der Theologe ging in den politischen Untergrund.

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