Nach: Jan Assmann, Thomas Mann und Ägypten. Mythos und Monotheismus in den Josefsromanen, München 2006.
Helmut Aßmann
Herzogstraße 74, 67435 Neustadt/Wstr.-Gimmeldingen
In seiner Monographie. Thomas Mann und Ägypten, Mythos und Monotheismus, schreibt Jan Assmann: „Insbesondere die ägyptische Idee des Totengerichts bedeutete einen großen Schritt zur Divinisierung und Theologisierung der Gerechtigkeit. Freilich, den entscheidenden Schritt in dieser Richtung hat erst Israel vollzogen, indem es Recht und Gerechtigkeit zur ausschließlichen Sache Gottes machte. Erst dadurch wird es denkbar, dass das Urteil Gottes und das Urteil der Menschen auseinander gehen können, und erst dadurch wird der Begriff der Sünde denkbar, in dem die moralische und die religiöse Sphäre sich verschränken. Erst das von Gott erlassene Gesetz macht den Verstoß zur Sünde und macht andererseits den Gehorsam gegenüber dem Gesetz zu einem Akt der Frömmigkeit und zum Medium der Heiligung.
In dieser Frage nun (…) liegt der eigentliche Unterschied zwischen dem Gott Echnatons und dem Gott Abrahams. Mit seiner Abschaffung des Totengerichts und seinem konsequenten Heliomorphismus hat Echnaton gerade diesen ethischen Aspekt der ägyptischen Religion, in dem sie dem biblischen Monotheismus besonders nahe kam, konsequent destruiert. Die Sonne scheint nun einmal über Gut und Böse und macht jenen entscheidenden Unterschied nicht, der die moralische Welt konstituiert“ (S. 186).
Noch deutlicher hebt er diesen Gegensatz hervor, wenn er das Gespräch Josefs mit Echnaton interpretiert. „In der Tat hätte der echte Echnaton, so wie er uns in den Texten greifbar wird, mit Josefs uns so einleuchtender Unterscheidung zwischen ‚Aton’ und ‚Herr des Aton’ oder ‚am Himmel’ und ‚im Himmel’ nichts anfangen können, er hätte sie auch als Rückschritt gegenüber seiner Lehre empfunden und entschieden von sich gewiesen. Uns leuchten diese Unterscheidungen ein, weil wir sie in der spezifisch monotheistischen Perspektive lesen, die durch die Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz geprägt ist. ‚Aton’ ist Immanenz und bezieht sich auf die Sonne als Gestirn, ‚Herr der Sonne’ dagegen tut den für uns so entscheidenden Schritt von der Immanenz in die Transzendenz, vom Geschöpf zum Schöpfer, diesen Schritt, den Abraham mit so viel Mühe errungen hat und zu dem die heidnischen Religionen nicht in der Lage waren“ (S. 168).
Echnatons revolutionärer Schritt bestand nun gerade nicht darin, dass er über die sichtbare phänomenale Wirklichkeit hinaus zur Konzeption einer transzendenten, das Ganze erschaffenden, begründenden und erhaltenden Instanz vorstoßen wollte, sondern ganz im Gegenteil wollte er die Sonne, durchaus als Gestirn, mit dieser Instanz identifizieren, als solche anerkennen und verehren (S. 168f).
In letzter Konsequenz heißt das: „Gott ist die Welt und Herr der Welt. Das ist der Grundgedanke des Kosmotheismus. Das Göttliche manifestiert sich in den Phänomenen, und es manifestiert sich als eine Beziehung der Herrschaft, die auf einer Beziehung der Schöpfung basiert: das Göttliche ist ein Herrschafts- und das Herrschafts- ein Schöpfungsverhältnis. Die Unterscheidung zwischen Immanenz und Transzendenz wird hier ganz einfach nicht gemacht“ (S. 169).
In der Auseinandersetzung mit Thomas Manns Josefsroman und dem Missverständnis der Religion Echnatons durch Thomas Mann gelingt Jan Assmann eine prägnante Darstellung seines eigenen Verständnisses Echnatons und seiner solaren Theologie des „Kosmotheismus“. Ein Begriff, den Assmann bewusst geschaffen hat und den er von dem traditionellen Begriff des Pantheismus unterschieden wissen will.
Entscheidend ist, dass der Schritt zur Transzendenz Gottes in Ägypten nicht vollzogen wurde. Ob die klassische ägyptische Religion mit der Idee des Totengerichts wirklich in die Nähe der biblischen Religion vorgedrungen ist, wie Assmann meint, von der sich Echnaton durch die Abschaffung des Totengerichts wieder entfernt hat, ist eine Frage an die alttestamentliche Wissenschaft. Das AT liegt m.E. hier auf der gleichen Linie wie Echnaton; denn auch dort ist das Totengericht ersetzt durch das Gericht, das in Parallele zur Gemeinde der Gerechten, also einer diesseitigen Instanz gesetzt wird. So z.B. in Psalm 1, wo es heißt: Darum bestehen die Gottlosen nicht im Gericht, noch die Spötter in der Gemeinde der Gerechten.
Es gibt also durchaus Parallelen zwischen der Religion Echnatons und der des Alten Testamentes. Man kann auch die Aussagen Assmanns über Echnatons Gott durchaus mit dem biblischen Schöpfungsbericht vergleichen. Wenn Assmann sagt: „Das Göttliche manifestiert sich in den Phänomenen und es manifestiert sich als eine Beziehung der Herrschaft, die auf einer Beziehung der Schöpfung basiert: Das Göttliche ist ein Herrschafts- und das Herrschafts- ein Schöpfungsverhältnis“, so kann man das Gleiche auch in Bezug auf den 1.Schöpfungsbericht der Bibel sagen.
Der biblische Monotheismus begründet mit dem ersten Gebot die Einzigkeit Gottes und mit dem zweiten Gebot die Unanschaulichkeit Gottes, mit dem dritten Gebot die Heiligkeit des Namens Gottes, mit dem vierten Gebot begründet es den Schutz des Sabbattages als eines Tages der Arbeitsruhe. Es ist die Frage, ob die Idee der Transzendenz, gemeint ist ja wohl die Idee des transzendentalen Ideals aus der Kritik der reinen Vernunft Immanuel Kants, hier zutreffend ist. Richtig ist, dass Gott als Richter und Gesetzgeber im Sinne Echnatons ein Anthropomorphismus wäre. Und wir haben ja auch bei Echnaton die Bilderlosigkeit, die bis zum Theoklasmus, zur Bilderzerstörung gesteigert wurde. Auch sie erinnert an das Alte Testament.
Arnold Schönberg hat in seiner Oper „Moses und Aaron“ das Kierkegaardsche Entweder – Oder in seiner schärfsten Ausprägung gezeigt, sagt Jan Assmann (S 208). „Hier gibt es keine Kompromisse, kein Drittes und keine Schonung. Gott erscheint hier als reiner Geist, der sich denken, aber nicht verkünden lässt. An diesem Dilemma hatte Thomas Mann Echnaton scheitern lassen, der sich weigerte, über das Lehrbare hinauszudenken. Bei Schönberg scheitert Moses, der sich weigert, seinen Gott auf das Lehrbare zu reduzieren“ (S. 209). „Die unglaubliche Kühnheit von Schönbergs Konzeption liegt darin, dass er die mosaische Unterscheidung zwischen der wahren und der falschen Religion in den biblischen Monotheismus selbst hineinträgt und in Gestalt des Brüderpaares Moses und Aaron verkörpert. Schönbergs Moses steht für den reinen, abstrakten Monotheismus, der bei Schönberg weit über alles hinausgeht, was Freud seinem ägyptischen Moses in dieser Hinsicht zugeschrieben hat, und sein Aaron steht für den Gott der Bibel, der damit als falsch verworfen wird. Der Gott des Schönbergschen Moses ist nicht nur ‚einzig, ewig, allgegenwärtig und unsichtbar’, das alles hätten Mann und Freud unterschrieben, und es lässt sich ja auch mit einigem guten Willen biblisch belegen, sondern auch ‚unvorstellbar’.
Schönbergs Auslegung des Bilderverbots verwirft selbst die inneren Bilder.“
Hier, an Schönbergs Oper, entfaltet Assman den Begriff „mosaische Unterscheidung“, den er eingeführt hat, um den biblischen Monotheismus vom ägyptischen Kosmotheismus zu unterscheiden. Dieser wird bei Schönberg innerhalb des Monotheismus Israels als Unterscheidung zwischen Moses und Aaron präzisiert. „Hinter Schönbergs Aaron steht kein anderer als der biblische Moses“ (S. 210). „Damit wird die gesamte Thora in Bausch und Bogen als falsches Bild, als Götzenbild und Idolatie entlarvt, und der biblische Gott fällt seinem eigenen Verbot zum Opfer, dem Verbot, sich ein Bild zu machen. Bei Schönberg bilden Moses und Aaron einen radikalen, unversöhnlichen Gegensatz. Es ist der Gegensatz zwischen wahr und falsch, zwischen reinem Monotheismus und Götzendienst, der Gegensatz also, der mit der ‚mosaischen Unterscheidung’ in die Welt kommt. Diese Grenze zieht Schönberg in einem völlig neuen Sinn, indem er nicht Israel und Ägypten, sondern Moses und Aaron gegenüberstellt, die Unterscheidung also mitten in den biblischen Monotheismus hineinträgt, der auf der Verbindung zwischen Moses und Aaron beruht“ (S. 211).
„Schönbergs Aaron ist der biblische Moses, und Schönbergs Moses ist eine Gestalt, von der die Bibel nichts weiß und die ihre Wurzeln im griechischen Denken, in der Religionskritik des Xenophanes, der negativen Theologie des Areopagiten, in der durchdringenden Rationalität des Maimonides, in der Geisttheologie der frühen Neuzeit und im Ikonoklasmus der Moderne hat“ (S. 210).
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