Helmut Aßmann
Herzogstraße 74, 67435 Neustadt-Gimmeldingen
Claus Westermann erwähnt in seinem Genesiskommentar, dass die Gattungen Weltschöpfung und Menschenschöpfung nirgendwo im Alten Orient in einem Text gemeinsam abgehandelt werden, außer in Genesis 1. Diese Beobachtung will ich zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken, wie es kam, dass die beiden Gattungen hier zu einer literarischen Gestalt vereint werden konnten. Ich greife dabei zurück auf meine in zwei Aufsätzen im Pfälzischen Pfarrerblatt 2014, Nr. 4 und 6, bereits geäußerte Vermutung, dass die Schöpfungsverben baraund asah verschiedenen Autoren zugehörig sind.
Es lassen sich unschwer Texte mit bara und asah als Tätigkeitswörter voneinander unterscheiden. Die bara enthaltenden Texte sind die Überschrift und die Unterschrift des Berichts in Gen 1,1 und 2,4 a. Hinzu kommen die Erschaffung der Fische und der Vögel in Gen 1, 24 und des Menschen in Gen 1,28 a. In all diesen Versen wird der Schöpfungsakt mit bara = erschaffen bezeichnet. Alle andern Texte verwenden asah für den Schöpfungsakt, das ein mehr technisches Machen bezeichnet. Da aber auch Gen 2,7 für die Erschaffung des Menschen asah verwendet, passt dieser Vers doch viel besser zum Schöpfungstext in Gen 1.
Ich habe deshalb vorgeschlagen, dass Gen 1,26 a: „Lasset uns Menschen machen zu unserm Bilde“, der Wortbericht zu Gen 2, 7, dem Tatbericht, ist, der ursprünglich dem Wortbericht folgte. „Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen zu unserm Bilde. Da machte Gott den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Atem des Lebens in seine Nase. Da ward der Mensch ein lebendiges Wesen.“ Der Einsatz in Gen 2,4 b beginnt ja mit einer Aufzählung dessen, was noch nicht war. „Und kein Mensch war da, der das Land bebaute.“ Diese Äußerung passt sehr gut zum Schluss der Garten-Eden-Erzählung, in dem der Mensch von Gott hinwegging, um den Acker zu bebauen. „Da wies ihn Gott der Herr hinaus, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war“ (Gen 3,23). Der Rückgriff auf die Erschaffung des Menschen ergibt sich von selbst, wenn es zunächst heißt: „Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden gen Osten und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte“ (Gen 2, 8). „Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte“ (Gen 2, 15).
Der Verfasser verknüpft hier die Schöpfung des Menschen in Gen 1 mit der Gartengeschichte in Gen 2 bis 3. Viel wahrscheinlicher ist es, dass diese in Gen 2 erzählt worden ist, sodass der Wortbericht ursprünglich hier vor dem Tatbericht gestanden hätte. Da der Plural der Gottesrede auch in Gen 3,22 vorkommt, wäre dieser an dieser Stelle nicht ungewöhnlich. Danach müsste ein späterer Verfasser die Menschenschöpfung in den Text von Gen 1 eingefügt haben. Dieser hat zugleich das Prädikat bara in Gen 1 eingeführt. Er nimmt also den Wortbericht der Menschenschöpfung aus Gen 2: „Lasset uns Menschen machen zu unserm Bilde“, lässt den Tatbericht, der diesem ursprünglich folgte, weg: „Und Gott (der Herr) machte den Menschen aus Staub vom Acker und blies ihm den Atem des Lebens in seine Nase“ (Gen 2, 7) und formuliert den Tatbericht neu : „Da schuf Gott den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie“ (Gen 1,28a).
Die Menschenschöpfung tritt nun neben die Erschaffung der Tiere und des Viehs an diesem Tage. Während aber der Mensch gesegnet wird, gehen die Tiere leer aus. Ihr Segen, den sie ursprünglich erhalten hatten, wird nun den Menschen zugedacht, den Werken des sechsten Tages. Nun müssen sich die Tiere mit dem Menschen den sechsten Schöpfungstag teilen und erhalten keinen Segen, da dieser, ihr Segen, dem Menschen zugesprochen wird. Der bara-Autor ist also für die Endfassung des Schöpfungswerkes verantwortlich und damit für die Kombination von Welt – und Menschenschöpfung; denn seiner Textvorlage hatte die Menschenschöpfung gefehlt, und er hatte sie in den Text interpoliert. Er hatte sie aus Gen 2 in Gen 1 eingefügt, sie durch das dreifache bara hervorgehoben, dieses Prädikat in Einleitungs- und Schlusssatz verankert und so seine Handschrift in dem älteren Text hinterlassen. Er ist der Kompilator von Welt- und Menschenschöpfung, wobei er den Schöpfungsakt des Menschen durch ein dreifaches bara hervorhob, zugleich aber auch die ganze Schöpfung in ein neues Licht rückte, indem er sie als Toledot, als Entstehungsgeschichte oder Genealogie kennzeichnete, eine Abfolge von Werken, deren Reihenfolge er den sieben Planeten der babylonischen Reihe und damit den sieben Wochentagen des jüdischen Kalenders zuordnete.
Nach der Endfassung des Schöpfungsberichts gibt es acht Werke. Gab es ursprünglich nur sieben Werke und sieben Tage, je Tag ein Werk? Mit einem Ja auf diese Frage wäre das achte Werk – Menschen – als ein Fremdkörper aus der Weltschöpfung auszuscheiden. Die beiden Gattungen waren ursprünglich nicht miteinander vermischt, sondern in Gattungsreinheit voneinander geschieden. Die Aufgabe des Menschen als eines Ackerbauern bezeichnet den Anfang und das Ende der Gartengeschichte. Sie kannte am Anfang und am Ende eine Gottesrede im Plural, die eine Absicht Gottes („Lasset uns Menschen machen zu unserm Bild“, Gen 1,26a) und ein Bedauern Gottes („Der Mensch ist geworden wie einer von uns“, Gen 3,22a) zum Ausdruck bringt und die die Reaktion Gottes auf das Bedauern ausführte (Gen 3,14-19.24). Sie ist überdies eine narrative Gestaltung des Leitspruchs der Weisheit: Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang. Als der Mensch Gott fürchtete und sich vor ihm versteckte, widerfuhr ihm das, was als das Wissen um gut und böse bezeichnet wird und somit als Weisheit. Man kann nicht sagen, was zuerst da war, die Furcht oder die Weisheit, beides kam gleichzeitig und ergriff Besitz vom Menschen, sodass der Mensch nachher ein anderer war als vorher, dass er aber nachher nicht mehr der sein konnte, der er vorher war.
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