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Die Religionspolitik Echnatons Im Jahr 1905 wurde im Tal der Könige
in Ägypten das Grab von Juya und Tuya entdeckt, deren Mumien in das Ägyptische
Nationalmuseum in Kairo gebracht wurden. Im Totenbuch Juyas fand sich der Titel
„Vater des Pharao“, und tatsächlich findet sich bei der Pharaonin Teje, der
Frau Amenophis III., die Angabe über ihre Eltern Tuya und Juya, was eine große
Seltenheit ist. Damit steht aber auch fest, dass Juya der Großvater Echnatons
war, der als Amenophis IV. die Thronfolge nach dem Tod seines Vaters antrat und
den Thron 17 Jahre innehatte. Ebenso ist er der Großvater der Nofretete, der
Gattin Echnatons, die nach seinem Tod seine Nachfolge antrat, ihn aber nur um weniger
als ein Jahr überlebt hat. Ihre Mumie wurde nie gefunden. Sie verfiel wie ihr
königlicher Gemahl der dammnatio memoriae. Nach dem Tod seines Vaters hatte
Echnaton Aton zum alleinigen Reichsgott erklärt und ihn gleichzeitig mit seinem
Vater identifiziert. Das bedeutete seine Legitimation als Herrscher und die
Erneuerung einer repräsentativen Monarchie mit dem Pharao als Co-Regent des
Gottes Aton, der an die Stelle des verstorbenen Amenophis III. trat. Es
bedeutete aber auch die Fortsetzung der Co-Regentschaft zwischen Echnaton und
seinem Vater, die ja schon zu dessen Lebzeiten bestand, allerdings auf einer
anderen, nämlich einer religiösen Ebene. Das politische Verhältnis der
Co-Regentschaft zwischen Vater und Sohn wird nun auf der Ebene der Reichsreligion
als Co-Regentschaft zwischen dem Gott Aton und Echnaton fortgesetzt, wobei
Nofretete in die Dreiecksbeziehung einbezogen wird, obwohl sie wahrscheinlich,
anders als Echnaton, von keiner pharaonischen Abstammung war, sondern von Eje,
dem Bruder der Königin Teje abstammte, aber eben damit auch eine Enkelin von
Juya war. Diese Erhöhung der Nofretete , die
auch ihren Ausdruck in dem mythologischen Zwillingspaar von Tefnut und Schu,
den Kindern des Gottes Atum, findet, mit dem das königliche Paar sich
identifizierte, verlangt nach einer Erklärung. Die neue Religion sollte ja nicht nur der Legitimation des Echnaton,
sondern auch der seiner königlichen Gemahlin dienen. Sie machte den Bruch mit
der bisherigen Amun-Religion erforderlich und die Preisgabe des alten
Herrschaftssitzes Theben, an dem die Amun-Priesterschaft bislang die religiöse
Legitimierung des Herrschers als Sohn des Sonnengottes Amun-Re legitimiert
hatte. Dieser Vorgang der Einbettung des Herrscherpaares in einen
mythologischen Kontext ähnelt in der Neuzeit dem Vorgang, bei dem sich Ludwigs XIV. und seinen Bruder Philipp mit
dem Zwillingspaar Diana und Apollo, den Kindern des Zeus und der Latona
identifizierte, weil sie, wie diese vor der Eifersucht der Hera, ebenfalls nach
dem Tod ihres Vater Ludwig XIII. von Paris nach Versailles fliehen mussten, wo
ihr Vater beim Aufstand der Fronde ums Leben gekommen war. Die Flucht von Paris nach Versailles
und der Vergleich mit dem mythologischen Geschwisterpaar Diana und Apollo
wiederholte also gewissermaßen die Flucht Echnatons und der Nofretete von
Theben nach Amarna und ihrem Vergleich mit dem göttlichen Geschwisterpaar Schu
und Tefnut, den Zwillingskindern des Gottes Atum. Während aber die Regentschaft
Ludwig XIV. nicht von dieser mythologischen Gleichsetzung abhing, er war ja
durch seine Krönung durch den Papst legitimiert, war diese im Fall Echnatons
eine politische Notwendigkeit, um die Rolle der Nofretete als seiner
königlichen Gemahlin in den Rang einer Göttin zu erheben. Gleichzeitig erhob er
bei seinem Regierungsantritt, der die Jahre der Co-Regentschaft mit seinem
Vater beendete, seinen Vater zum Gott Aton, womit seine göttliche Abkunft und
damit die Legitimität seiner Herrschaft als Sohn des Gottes Aton gesichert
wurde. Auch dieser Vorgang fand seine
Wiederholung in der Geschichte, und zwar in der Entstehung des Christentums.
Nachdem Jesus Gott als seinen Vater und zugleich als den Vater aller Menschen
verkündigt hatte, wurde er im Umkehrschluss nach seinem Tod, und dann auch
retrospektiv schon bei seiner Taufe als der Sohn Gottes verkündigt. Was
Echnaton in einer politischen Zeremonie beim Thronbesteigungsfest getan hatte,
nämlich den Gott Aton mit seinem verstorbenen Vater zu identifizieren und sich
selbst durch die Priesterschaft zum Sohn des Aton proklamieren zu lassen, das geschah bei der
Entstehung des Christentums durch die
Verkündigung Jesu als des eingeborenen Sohnes Gottes. Er, der Gott
seinen Vater genannt hatte, wurde zum Sohn Gottes; das heißt aber, dass seine
Herrschaft im Himmel und auf Erden und die Errichtung des Reiches Gottes damit
begründet werden sollte. Diese religionsgeschichtliche
Parallele zwischen der Entstehung des Christentums und der Amarna-Religion
besteht m.E. deshalb zu Recht, weil in beiden Fällen die Metaphorik von Vater
und Sohn das Verhältnis zwischen dem Herrscher und dem Gott bestimmt. Auch
Christus ist eine Herrschergestalt, auch er herrscht seit der Himmelfahrt als
König, wenn auch nicht im politisch-immanenten Sinn, sondern in einem
religiös-transzendenten. Sein Reich ist nicht von dieser Welt. Er herrscht in
der Unendlichkeit. Hierin ist seine Herrschaft der Herrschaft Echnatons, die
eine Herrschaft in der Endlichkeit war, überlegen, und dies ist auch der Grund
für das Scheitern der Religionspolitik Echnatons. Sie scheiterte an der
Endlichkeit des Herrschers und des Herrscherpaares. Die Kulturrevolution Echnatons, die
als der Versuch, den Monotheismus in Ägypten einzuführen, anzusehen ist, hat in
einer bemerkenswerten Radikalität die bisherige ägyptische Religion durch eine
neue ersetzt, die zum Einen der Festigung seiner Macht diente, aber zum Andern
auch einen Umsturz der Verhältnisse in Ägypten herbeiführte, insofern als die
alten Götter und ihre Bilder abgeschafft wurden und neue Bilder an ihre Stelle
traten (Theoklasmus und Ikonoklasmus). In der Theogonie wird das Herrscherpaar
mit den Kindern des Gottes Atum gleichgesetzt, aber in der religionspolitischen
Realität wird der Herrscher mit dem Sohn Atons gleichgesetzt. Die Dreiecksbeziehung zwischen
Nofretete, Echnaton und Aton, die in den Reliefs dargestellt wird, gleicht
diese Divergenz zwischen Theogonie und politischer Ideologie und die damit
verbundene Ungleichheit zwischen Herrscher und Herrscherin aus. Das heißt, dass
die mythologische Konstellation Atum ¨C Tefnut und Schu herangezogen werden
musste, um die theologische Konstruktion Aton ¨C Echnaton zugunsten von einer
Dreieckskonstellation Aton ¨C Echnaton ¨C Nofretete zu korrigieren. Hier wird
unversehens eine Kollage zwischen Atum und Aton vollzogen, die uns heute wie
ein Willkürakt erscheinen mag. Die Einbeziehung Nofretetes in die
Machtkonstellation bedeutete nichts weniger als ein Abweichen von einem konsequenten
Monotheismus und wir haben es bei Echnaton weder mit einem konsequenten
Monotheismus noch mit einem Henotheismus zu tun, da ja dieser auf die
Hilfskonstruktion einer Götterdreiheit neben Aton angewiesen ist, um die
königliche Gemahlin in die so geschaffene Götterdreiheit mit einbeziehen zu
können. Es muss uns verwundern, wie scheinbar
leicht hier mit den verschiedenen Göttern umgegangen worden ist und wie der
mythenschaffende Prozess durch machtpolitische Überlegungen gesteuert werden
konnte, ja, wie die Mythologie die tatsächlichen Machtverhältnisse spiegelt. So
bleibt die Religion von Osiris und Isis, den Zwillingskindern von Geb und Nut
aus der älteren ägyptischen Religion, bei Echnaton ganz ausgeblendet, während
Schu und Tefnut, das Zwillingskinderpaar des Atum, zur Konstellation der
Begründung der Macht herangezogen werden. Dieser Widerspruch aus
mythenkritischer Sicht kann nur erklärt werden, wenn es gelingt, das
eigentliche Agens des mythenbildenden Prozesses zu finden. Diese Kraft des
mythenbilden Prozesses könnte sich in der Gestalt des Juya zeigen, genauer
gesagt in der Religion Juyas, der Großvaters beiden Regenten. Da der
Machtbereich Ägyptens das heutige Palästina und das heutige Israel umfasste,
sind auch die Hebräer Einwohner Ägyptens
gewesen, die selbstverständlich nicht auf die Stammesgebiete ihrer Vorfahren
beschränkt in dem, was wir heute unter Ägypten verstehen, wohnten. So kann Juya durchaus ein Hebräer
gewesen sein. Die Gebetshaltung seiner Mumie mit zum Gebet aneinandergelegten
Handflächen weist zumindest auf eine andere als die ägyptische Religion hin.
Ein weiteres Indiz ist der Name Juya. In allen Namen aus der Zeit ist der
Gottesname in der Form eines Epithetons an den Namen angehängt. Dies könnte im
Namen Juya auch der Fall sein. Das Epitheton wäre dann die Silbe Ya, also eine
auch im Hebräischen geläufige Abkürzung des Namens Jahwe. So ist es berechtigt,
wenn ich frage: War Juya ein
Jahweverehrer? Wenn diese Frage bejaht werden kann, hätten wir das Agens des
mythenbildenden Prozesses gefunden. Es bestünde eben in dem Verwurzeltsein der
Juyaiden in einem grundsätzlich anderen als dem ägyptischen Gottesverständnis.
Will sagen: Die Unbekümmertheit im Umgang mit der ägyptischen Religion und
ihrer Mythologie, auch wenn diese zulasten des Monotheismus ging, kommt aus
Gottvertrauen oder, um es mit einem Begriff der alttestamentlichen Weisheit
auszudrücken, aus der Furcht Gottes. |
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