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Der Römerbrief des Apostels
Paulus – eine Liebeserklärung eines verschmähten Liebhabers an seine
widerspenstige Geliebte
Rm
11, 28 kommt es tatsächlich vor, das Wort „Geliebte“ (agapetoi). Nach Gottes
gnädiger Wahl sind sie Geliebte um der Väter willen; denn Gottes Gaben und
Berufung können ihn nicht gereuen. Hier wendet sich Paulus an die Juden als
seine Stammesverwandten. Seine eigne Berufung gilt aber den Heiden. So sagt er
Rm11,13 f: „Euch Heiden aber sage ich: Weil ich der Heiden Apostel bin, will
ich mein Amt preisen, ob ich wohl könnte
die, die meine Stammesverwandten sind, zum Nacheifern reizen und ihrer etliche
retten.“ So
sind die Geliebten des Paulus also seine Stammesverwandten, sie sind die
Geliebten um der Väter willen, die, so muss man ergänzen, auch seine, des
Paulus Väter sind. Das ist so ähnlich, wie wenn ich meine Cousine ersten oder
zweiten Grades Geliebte im Herrn nennen würde, was zwar etwas pathetisch
klingt, aber durchaus zutreffend ist, weil wir ja auch die gleichen Großväter
oder Urgroßväter haben. Nun
ist aber das Liebesverhältnis des Paulus ein gestörtes. Es besteht Feindschaft
zwischen ihm und seinen Stammesverwandten wegen des Evangeliums. Deshalb sagt
er: Nach dem Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen aber nach Gottes
gnädiger Wahl sind sie Geliebte um der Väter willen. Das Liebesverhältnis ist
gestört. Aus Liebe ist Feindschaft geworden. Aber trotzdem bleiben die
Geliebten Geliebte. Nach
menschlichem Ermessen ist das Werben des Paulus erfolglos geblieben. Paulus
bleibt ein verschmähter Liebhaber. Aber weil die Geliebten oder vielleicht auch
die Geliebte weiterhin Geliebte bleiben, bzw. bleibt, wird die Feindschaft
relativiert, kann sich der verschmähte Liebhaber dennoch an seine Geliebten,
seine Geliebte wenden, in der Absicht, sie zu retten, weil sie eben Geliebte
sind/ ist. Der Vergleich mit dem Liebesverhältnis trägt, obwohl sich die
Geliebte vom Evangelium abgewendet hat, indem sie Gottes Entscheidung für Jesus
Christus als den Messias verworfen hat. Die Wiederkehr des
Verhaltens des Propheten Hosea im Verhältnis zu seiner Ehefrau im Verhalten des
Apostels Paulus im Verhältnis zu Israel
Ich
überlege, wo ein solch dramatisches Liebesgeschehen schon einmal berichtet
worden ist. Ein verschmähter Liebhaber, der trotz der Untreue der Geliebten zu
seiner Liebe steht und sie nicht aufgibt, der trotzdem nicht aufhört, um sie zu
werben, der die offenkundige Feindschaft, die an die Stelle einer Liebesbeziehung
getreten ist, in den Wind schlägt und der Ablehnung der Geliebten zum Trotz
dennoch weiter um sie wirbt. Ähnliches
berichtet uns das Buch des Propheten Hosea im Alten Testament. In einem
Er-Bericht in Kapitel 1 wird erzählt, wie Hosea von Gott den Auftrag erhält,
eine Frau zu heiraten, die als Hure bezeichnet wird, weil sie der verhassten
Baalsreligion angehört. Der Prophet gehorcht dem Befehl Gottes und aus seiner
Ehe gehen drei Kinder hervor, die Namen bekommen, die die Botschaft Gottes an
das Volk Israel enthalten: „Und er sprach: Nenne ihn „nicht mein Volk“; denn
ihr seid nicht mein Volk, so will ich auch nicht der eure sein“ (Hos 1,9). „Und
er sprach zu ihm: Nenne ihn„nicht geliebt“; denn ich will mich nicht mehr über
das Haus Israel erbarmen, sondern ich will sie wegwerfen.“ Und der Herr sprach
zu ihm: Nenne ihn Jesreel; denn es ist nur noch eine kurze Zeit, dann will ich
die Blutschuld von Jesreel heimsuchen am Haus Jehu und will dem Königreich des
Hauses Israel ein Ende machen“ (Hos 1,4). Das
sind deutliche Worte. Aber die Ehe des Propheten ging nach der Geburt der drei
Kinder auseinander und seine Frau kam in den (rechtmäßigen) Besitz eines
andern(vgl. Hans Walter Wolf, Kommentar zum Buch des Propheten Hosea, z.St.).
Nachdem der Er- Bericht so mit dem Ende der Ehe des Propheten geendet hatte,
lesen wir im Ich-Bericht, dass der Prophet erneut einen Auftrag von Gott
erhält, um seine untreue Gattin, die ihn verschmäht hat und zur Ehebrecherin
geworden ist, zurückzugewinnen. „Geh abermals hin und wirb um eine treulose und
ehebrecherische Frau, wie denn der Herr um die Kinder Israels wirbt, obgleich
sie sich zu fremden Göttern kehren“ (Hosea 3, 1). Der Ich-Bericht betont die
Authentizität des Geschehens. Ist im Er-Bericht die Botschaft des
Propheten ganz in die Namen der Kinder
gelegt, so liegt der Schwerpunkt im Ich-Bericht ganz auf dem Ehegeschehen,
ja auf dem Liebesverhältnis des
Propheten zu seiner Frau, die ihn verlassen hat und um die er wirbt. Menschlich
gesehen ist der Prophet ein gehörnter Ehemann, der sich töricht verhält, indem
er einer Frau nachläuft, die sich von ihm getrennt hat und sogar einen andern
Mann liebt. Aber entscheidend ist wiederum die Botschaft, die das Geschehen
verdeutlichen will. Und diese lautet. So wie der Prophet um seine treulose
Gattin wirbt, die einen andern liebt, so wirbt Gott um die Kinder Israel,
obwohl sie sich von ihm abgewandt und andern Göttern zugewandt haben. Dieser
Vergleich zwischen dem Verhalten des Paulus zu Israel und dem Verhalten des
Propheten zu seiner Frau kann uns hilfreich sein für das Verständnis dessen,
worum es Paulus im Römerbrief geht. So schmerzlich es für Hosea war, was Gott
von ihm verlangt hat, so schmerzlich ist es für Paulus, das in seinen Augen
treulose, weil nicht messiasgläubige Israel nicht aufzugeben. Er preist sein
Amt, indem er sagt: „Euch Heiden aber sage ich, weil ich der Heiden Apostel
bin, will ich mein Amt preisen“, und er fährt fort: „ob ich wohl könnte die,
die meine Stammesverwandten sind, zum Nacheifern reizen und ihrer etliche
retten“ (Rm 11, 13f). Was bei Hosea die treulose Gattin war, ist bei Paulus das
nicht-messiasgläubige Israel. Nach dem Evangelium sind sie zu Feinden geworden
um euretwillen. Um euretwillen, d.h. um der messiasgläubigen Heiden willen sind
sie, die nicht-messiasgläubigen Juden zu Feinden geworden. Paulus will, dass
sich die Juden die messiasgläubigen Heiden zum Vorbild nehmen. Er will sie
reizen, ihrem Vorbild zu folgen und sich dem Evangelium zu öffnen. „Wenn aber
ihr Fall der Welt Reichtum und ihr Schaden
der Heiden Reichtum geworden ist, wie viel mehr wird es dann Reichtum
sein, wenn Israel in seiner ganzen Fülle gewonnen wird“ (Rm 11,12). Die
endzeitliche Gewinnung Israels für das Evangelium entspricht der Rückgewinnung
der treulosen Ehefrau bei Hosea. Die Hoffnung auf die Rückgewinnung Israels und
seine Integration in das Reich Gottes gründet Paulus auf seine Erfolge in der
Heidenmission. Weil nämlich die Bekehrung der Heiden zum Vorbild für die
gläubig gewordenen Juden geworden ist, ist die Nichtbekehrung der ungläubigen
Juden zu ihrer Verwerfung geworden und zur Versöhnung der Welt. Durch die
Begriffe Versöhnung und Verwerfung, die in einem dialektischen Verhältnis
zueinander stehen, schafft Paulus eine Klammer, die verhindert, dass das
nicht-messiasgläubige Israel völlig aus dem Raster herausfällt und aufgegeben
wird. So
wie Hosea seine Ex-Frau nicht aufgibt, so gibt Gott Israel nicht auf. Dabei
steht jeweils die Person des Propheten, bzw. des Paulus stellvertretend für
Gott in der prophetischen Zeichenhandlung. Trotzdem spricht Paulus von der
Verwerfung Israels, aber nur im Zusammenhang mit der Rettung der Heiden, die er
in Parallele zur Versöhnung der Welt setzt. Löst man den Gedanken von der
Verwerfung Israels aus der Klammer heraus, so endet man in antisemitischen
Gedanken, wie sie z.B. in Luthers Schrift: „Von den Juden und ihren Lügen“
(1545), geäußert worden sind. Darum ist es wichtig, das Ganze unter dem Aspekt
der Hoffnung zu sehen, wie Paulus es tut, einer Hoffnung auf die endzeitliche
Annahme Israels durch Gott. Er sagt nicht Bekehrung, sondern Annahme, wenn er
sagt: „Denn wenn ihre Verwerfung die Versöhnung der Welt ist, was wird ihre
Annahme anderes sein als Leben aus den Toten?“ (Rm 11,15) Trotz der
Nichtannahme des Evangeliums durch Israel ist eine Annahme Israels durch Gott
nicht ausgeschlossen. Die
Rettung Israels muss daher ebenso wie seine Verwerfung auf ein Handeln Gottes
zurückzuführen sein. Wie der Verstockungsbefehl, den Paulus für die Verstockung
seiner Stammesangehörigen verantwortlich macht, zur Verwerfung Israels führte,
er zitiert in Rm 11,8 den Wortlaut von Jesaja 6,9: „Verstocke das Herz dieses
Volkes und lass ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, dass sie nicht sehen
mit ihren Augen, noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und
sich nicht bekehren und genesen“, so führt auch ein erneutes Handeln Gottes zur
Rettung Israels. Es scheint ein Widerspruch zu sein, dass die Nichtannahme des
Messias durch Israel von Gott bewirkt wurde und dennoch zur Verwerfung Israels
führt, sofern man nicht bedenkt, dass die Erwählung Israels durch Gott bestehen
bleibt. Wiederum gilt: Löst man die Dialektik auf, lässt man die Verwerfung
Israels isoliert für sich stehen, endet man wie Luther im Antisemitismus.
Dieser Weg ist für Paulus ausgeschlossen; weil er weiß, dass Gott um der Väter willen zu seinen Verheißungen
steht. Das
Ringen des Propheten um die treulose Geliebte und in Analogie dazu das Ringen
des Paulus um das widerspenstige Israel veranschaulichen das Ringen Gottes um
sein Volk, auch wenn der Prophet ihn sagen lässt: „Ihr seid nicht mein Volk,
ich erbarme mich nicht über euch“, und auch Paulus die Verwerfung Israels in
Erwägung zieht. Deshalb endet Paulus am Ende des langen Abschnitts, in dem er
das Verhältnis zu Israel behandelt, in einem Lobpreis auf die Tiefe der
Weisheit und der Erkenntnis Gottes, in denen der scheinbare logische
Widerspruch zwischen Verwerfung und Erwählung aufgehoben ist: „O welch eine
Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie
unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn wer hat
des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen? (Jes 40,13) Oder
wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass ihm werde wieder vergolten? (Hiob 41,3)
Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in
Ewigkeit. Amen.“ In
den Anabathmoi tou Jakobou (in: Epiphanius Haer 30,16,6-9) macht ein
judenchristlicher Autor Paulus den Vorwurf, er sei gar kein Jude gewesen,
sondern stamme von griechischen Eltern ab. Um die Tochter eines
(Hohen-?)Priesters heiraten zu können, habe er sich beschneiden lassen, sein
Werben sei aber erfolglos gewesen und dadurch sei er zu einem Gegner der
Beschneidung, des Sabbats und des Gesetzes geworden. (Zitiert nach Gerd Theißen:
Paulus – sein Weg vom Fundamentalisten zum Universalisten. Vortrag im Stift
Neuenburg und Klösterle Buchen am 21.6.2009) Den
ersten Vorwurf kann Paulus selbst entkräften. Er schreibt Phil 3, 5f: „…, der
ich am achten Tag beschnitten bin, einer aus dem Volk Israel, vom Stamme
Benjamin, ein Hebräer von Hebräern, nach dem Gesetz ein Pharisäer, nach dem
Eifer ein Verfolger der Gemeinde, nach der Gerechtigkeit im Gesetz gewesen
unsträflich.“ Der zweite Vorwurf, er sei ein Gegner der Beschneidung, des Sabbats
und des Gesetzes geworden, zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben und
die Briefe des Apostels. Interessant ist hier nur die Begründung mit dem
erfolglosen Werben um die Tochter aus der Familie eines (Hohen-?)Priesters. Zu
diesem Vorwurf passt die Metaphorik der
verschmähten Liebe, wie ich sie unabhängig von dem Zitat in meinem
Beitrag aufzuweisen versucht habe. Auch sie zieht sich wie ein roter Faden
durch die Briefe des Apostels. Dass
Paulus aus der Diaspora stammte und dass seine Muttersprache das Griechische
war, mag zu dem Verdacht geführt haben, er sei Grieche gewesen. Da er in
Jerusalem die Tora studiert hat, muss er aber ebenfalls des Hebräischen mächtig
gewesen sein. Die Kernaussage, die mich zu meinen Überlegungen geführt hat,
steht in Rm 11,28: Nach dem Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen;
aber nach Gottes gnädiger Wahl sind sie Geliebte um der Väter willen. Trägt man
hier den Genetiv „Gottes“ ein und liest: Sie sind Feinde Gottes, bzw. Geliebte
Gottes, kann man die Aussage des Satzes nicht verstehen. Gemeint ist vielmehr:
Sie sind meine Feinde um des Evangeliums willen und meine Geliebten um der
Väter willen, also des Paulus Feinde und des Paulus Geliebte. Setzt man den
Singular „Geliebte“ an die Stelle des Plural, so tritt die Werbung um die
widerspenstige Geliebte, sei es das Kollektiv Israel, sei es die Tochter
irgendeines Priesters, deutlich zu Tage. Aber das ist grammatikalisch
unzulässig. Anmerkung des Autors:
Die Schriftzitate wurden zitiert nach der Lutherübersetzung von 1966. Anmerkung der
Redaktion: Eine frühere Version dieses Beitrags war bereits veröffentlicht in:
Pfälzisches Pfarrerblatt 4/2012, S. 174-176. Kollege Helmut Aßmann bitte um die
zusätzliche Veröffentlichung dieser ergänzten Fassung. |
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