Von Geist und Materie

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Helmut Aßmann

Herzogstraße 74, 67435 Neustadt-Gimmeldingen

Was war zuerst, der Geist oder die Materie? Diese Frage spaltete einst die Welt in Materialisten und Idealisten, in Christen und Marxisten. Ist die Welt durch Gottes Geist geschaffen worden oder ist die Welt bloße Materie, der Geist aber der Schweiß der Materie? Hat die Materie den Geist hervorgebracht oder der Geist die Materie?

 

Dieser Streit ist alt. Und es gibt zwischen beiden Lagern keine Versöhnung, sondern nur ein Entweder – Oder. Tertium non datur. Die eine Position schließt die andere aus. Ernst Bloch hielt eine Vorlesung, in der er bei den Idealisten nach der Materie und bei den Materialisten nach der Idee suchte (Tübingen 1963/64). Das ist ein hoher Anspruch an die Geschichte der Philosophie, ein Versuch der Versöhnung zwischen beiden Positionen, eine Suche nach Konvergenz in der Divergenz. Eine solche Konvergenz kann es nur geben, wenn es ein Drittes neben Geist und Materie gibt.

 

Dieses Dritte ist die Energie. Sie kommt vor bei den griechischen Hylezoisten als das Prinzip des Lebens, das aus dem organischen und anorganischen Stoff hervorgebracht wird. Während für Aristoteles` Hylemorphismus die Form der Materie zugrunde liegt, worin ihm die Philosophen bis Kant gefolgt sind, sodass bei ihnen kein Raum für Gott als den geistigen Ursprung der Materie bleibt, lässt sich aus der Beobachtung der Energie, die zwischen Körpern fließt, obwohl sie nicht sichtbar oder messbar ist, folgern, dass die kinetische Kraft, die die Anziehung oder Abstoßung zwischen den Körpern bewirkt, zwar wie Geist und Materie vorhanden ist, aber anders als diese weder Geist noch Materie ist.

 

Die Energie, die in Gesten, Blicken und Worten zum Ausdruck kommt, ist für die Beziehungen zwischen Menschen ausschlaggebend und insofern auch geschichtsmächtig, als sie das Verhalten von Menschen und deren Leben bestimmt. Die Energie zwischen den Körpern ist zweifellos etwas Spirituelles, hat aber an dem Gegensatz zwischen Geist und Materie keinen Anteil, insofern als sie sowohl den Geist der Geschichte als auch die Menschen selbst, also Materie, bestimmt und beides verwandelt. Wenn von einem Menschen keine geistige Energie mehr ausgeht, sagt man, er sei tot, ebenso sagt man von einem Menschen, der für geistige Energie nicht mehr empfänglich ist, er sei tot. Umgekehrt sagt man, dass ein Mensch lebendig ist, wenn er empfänglich für spirituelle Energie ist und wenn solche Energie von ihm ausgeht.

 

Was den Menschen also lebendig macht, ist die spirituelle Energie, die das Alte Testament den Atem Gottes nennt, den er dem Menschen einhauchte (Gen 2,7), sodass er eine lebendige Seele wurde. Wir lassen die Problematik des Begriffs Seele hier bewusst außer acht, da wir unter Seele etwas anderes verstehen als das Alte Testament. Dort bedeutet es Lebewesen, Person oder vitales Selbst (Bernd Janowski, in: Gott – Seele – Welt. Interdisziplinäre Beiträge zur Rede von der Seele, Neukirchen-Vluyn, 2013, S. 22ff.).

 

Eine Bewegung, sei sie im personalen oder geschichtlichen Bereich, ist immer bestimmt durch die Energie, die zwischen Menschen fließt und Menschen beeinflusst. Materialisten sehen in den Ausdrücken geistiger Energie, soweit sie sich nicht im materiell Messbaren, Erfassbaren niederschlägt, etwas Nutzloses, Realitätsfernes. Sie sind insofern tot, als sie die Relevanz geistiger Energie nicht wahrnehmen und sie für ihr Leben fruchtbar werden lassen, sondern sie vielmehr leugnen und deshalb in einer sozialen Isolation enden. Dasselbe gilt nicht nur für Individuen, sondern auch für Staaten. Individuen können sich sozial, Staaten können sich politisch isolieren. Aus der politischen Isolation von Staaten entstehen Kriege, Expansion gegenüber Nachbarstaaten, Wettrüsten bis zum Staatsbankrott. Aus der sozialen Isolation von Individuen entstehen psychische oder psychosomatische Erkrankungen mit ihren sozialen Folgen, die da sind: Desintegration, Verlust der Arbeitsfähigkeit, Unfähigkeit zum sozialen Engagement, zu Freundschaft und Liebe, Burn-out-Syndrom, Ausschweifungen aller Art, Alkoholismus, Drogenkonsum, Suizidalität, Aggressivität.

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