Schöpfung und Urknall

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Helmut Aßmann

Herzogstraße 74, 67435 Neustadt-Gimmeldingen

Was von beiden den Rang einer Theorie für sich beanspruchen kann, darüber wird nicht nur in den USA gestritten. Jedenfalls hat es einen Astrophysiker gegeben, der eine Formel errechnet hat, die ihn in den Stand setzte, nach Eingabe aller Parameter die Zeit nachzurechnen, die seit dem Urknall bis heute verstrichen ist. Es sind, seinen Angaben zufolge, 13,7 Milliarden Jahre. Daran ist wohl nicht zu rütteln. Trotzdem sei es mir erlaubt, einige spekulative Überlegungen im Anschluss an diese Theorie zu entwickeln, die, wie ich meine, den ebenso spekulativen Ideen des ersten Schöpfungsberichts nicht ganz unähnlich, sondern sogar konvergent sind.

 

Nach dem zu fragen, was vor dem Urknall war, ist zwar erlaubt, aber nach der oben genannten Theorie kann diese Frage nicht beantwortet werden, weil sie sich nur auf den Zeitraum danach bezieht und nur über diesen Auskünfte erteilen kann. Wir fragen daher nicht nach dem, was vorher war, sondern wir stellen die Frage so, was die Energie, die den Urknall ausgelöst hat, freigesetzt hat und kommen zu der hypothetischen Annahme, dass die Energie, die den Urknall ausgelöst hat, Licht und Materiefreigesetzt haben muss, die wiederum die Ausdehnung des Raumes und seine Lichtdurchflutung durch explodierende und verglühende Materieteilchen bewirkt haben müssen.

Mit diesem Werden und Vergehen der Gestirne ist aber zugleich neben der räumlichen Ausdehnung des Weltalls die Komponente der Zeit ins Spiel gekommen; denn die Ausdehnung des Raumes ist ohne die Dauer der Ausdehnung nicht vorstellbar. Vielmehr ist die Zeit mit dem Raum gesetzt als Ausdehnung des Raumes in der Zeit. Zugleich wird mit der zeitlich messbaren Ausdehnung des Raumes immer wieder Energie freigesetzt, die von der Energie, die den Urknall ausgelöst hat zu unterscheiden ist, da diese ohne Ursache als Erstursache gedacht werden muss, jene aber verursacht ist und somit der Kausalität unterliegt. Wir erhalten also als Zustand der Welt vor ihrer Entstehung die Negationen Raum- und Zeitlosigkeit, Finsternis und erstursächliche Energie.

Da aber etwas ohne Ursache nicht gedacht werden kann, es sei denn Gott, der selbst ohne Ursache, jedoch die Ursache aller Dinge ist, so sind wir auch aus diesem Grund genötigt, die erstursächliche Energie, die den Urknall ausgelöst hat, mit Gott gleichzusetzen. Wir erhalten also einen Gottesbegriff, der die Ursache von Licht und Materie und daher auch von Raum, Zeit und Kausalität ist und der deshalb auch gewiss die Ursache von Wind und Meer ist, wie es im Schöpfungsbericht  heißt: „Die Erde war wüst und leer und es war finster auf der Tiefe und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser“ (Gen 1,2). Die vier Chaosbegriffe, die in diesem Vers enthalten sind, gehen zurück auf die ägyptischen Chaosbegriffe von On (Heliopolis) Hu, Kuk, Nun und Amun. Dieser Kultort hieß auch die Acht, weil neben den vier Chaosgöttern vier Chaosgöttinnen gedacht wurden. Sie bedeuteten unendliche Weite (Hu), Licht (Kuk), Wasser (Nun) und Verborgenheit (Amun). Im hebräischen werden diese Chaosgottheiten physikalisiert, d.h. auf ihre physische Substanz reduziert, zugleich entmythisiert und enttheologisiert, sie werden aber auch wieder re-theologisiert, z.B. durch die Hinzufügung des Genitivs Elohim zu „ruach“ (Wind), anstelle des zu erwartenden Ursturms, der im Zustand der Welt vor der Schöpfung über dem Urmeer geherrscht hat.

Vergleicht man die Gegebenheiten des Zustands vor der Schöpfung Finsternis, Land und Meer, die bereits bestanden, noch ehe die Schöpfungsvorgänge einsetzen, mit den drei ersten Schöpfungswerken, so erkennt man, dass die priesterschriftliche Zeichnung des Schöpfungsvorgangs diesen völlig entspricht und dass diese von vornherein auf das Folgende hin gestaltet sind. Die zwei ersten Zustandssätze aus Gen 1,2 stellen die Untauglichkeit und die Nutzlosigkeit von Land und Wasser vor der Schöpfung dar, die durch den Schöpfungsakt zu Tauglichkeit und Nützlichkeit werden. Einzig der Urwind, der über der Urflut hin und herweht, findet nach Steck keine Entsprechung in einem der nachfolgenden Schöpfungswerke. Versteht man dagegen „ruach elohim“ nicht als Gotteswind, sondern als Atem oder Hauch Gottes, der als solcher noch kein Schöpfungswirken Gottes ist, das es ja vor der Schöpfung noch nicht geben kann, sondern der sich erst zum anordnenden, schöpferischen Sprechen Gottes formen wird, hat die Priesterschrift auch hier eine Zustandsbeschreibung der Welt vor der Schöpfung gegeben. „So ist dieser dritte Zustandssatz ebenfalls mit Bezug auf das Folgende gebildet und nur von daher begreiflich, dass das Sprechen Gottes in Vers 3, das an dieser Stelle sogar selbstschöpferisch ist, an einen zuvor gegebenen Zustand angeschlossen werden soll.“[1]

 

„… die Zustandaussagen über Erde, Finsternis und Atem Gottes (werden) offenbar mit Absicht in der umgekehrten Reihenfolge ihrer Heranziehung im Schöpfungsablauf geboten: die Aussage über den Atem Gottes wird in Vers 3 zuerst aufgegriffen, dann die Finsternis (V. 4f) und schließlich die Erde samt dem Urwasser (V.6ff.).“ Steck übersetzt Vers 2: „Die Erde aber war(noch) sinnlos und untauglich, und Finsternis war über der Urflut, und der Atem Gottes war in Bewegung über den Wassern.“

Das „Gott sprach“ ist die sachliche Entsprechung zum Atem Gottes, der „ruach elohim“, das „es werde Licht“ die sachliche Entsprechung zur Finsternis und das „die Erde war tohuwabohu“, das ein Hendiadioin ist, entspricht der Erschaffung von Land und Meer als dem zweiten Schöpfungswerk.

Die beiden Schöpfungswerke entsprechen aber im Weltbild der Astrophysik dem, was durch den Urknall freigesetzt worden ist, Licht und Materie. Nehmen wir uns also die Freiheit, für die Energie, die den Urknall ausgelöst hat, den Namen „Gott“ einzuführen, so stehen uns alle Wege offen für eine Synthese zwischen Glauben und Naturwissenschaft. Wir können aber niemanden zwingen, uns darin zu folgen. Dass die Energie, die wir Gott nennen, keine Ursache hat, selbst aber alles verursacht, wird einem Naturwissenschaftler wenig einleuchten. Bedenkt man aber, dass Raum, Zeit und Kausalität Funktionen, also a posteriori der Materie sind und kein a priori der reinen Vernunft wie Immanuel Kant sagte, so ist klar, dass das Gesetz von Ursache und Wirkung als eine Folge des Urknalls nicht für die Energie gelten kann, die diesen ausgelöst hat, wie sie ja auch selbstverständlich für Gott nicht gelten kann, der als der Allesverursachende selbst ohne Ursache ist.

[1]  Odil Hannes Steck, Der Schöpfungsbericht der Priesterschrift. Studien zur literarkritischen und überlieferungsgeschichtlichen Problematik von Genesis 1,1-2,4a, Göttingen 1975, S. 237.

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