Die Osterereignisse und das leere Grab bei Markus und Johannes

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Helmut Aßmann

Herzogstraße 74, 67435 Neustadt-Gimmeldingen

Ein historisches Faktum und seine literarische Gestaltung

„Die wahre Geliebte ist, die dir im Grab die Pforten des Paradieses auftut“. Das Gedicht des persischen Dichters Rumi1 kann uns helfen, die Begegnung der Maria Magdalena am leeren Grab mit dem auferstandenen Christus zu verstehen. Sie, die wahre Geliebte, tut Jesus im Grab die Pforten des Paradieses auf. Johannes gibt für das rätselhafte Verschwinden des Leichnams Jesu eine höchst individuelle Deutung. Sie entstammt dem niederen Roman oder der Liebeslyrik.

Die Begegnung spricht von einem intensiven seelischen Erleben der Maria, in dem der soeben empfundene seelische Schmerz über den Verlust des geliebten Menschen verarbeitet wird und in einer exaltierten Schau nach außen projiziert wird, so wie die Berufungserfahrungen der Propheten. In ihr wird die persönliche Beziehung über das Grab hinaus fortgesetzt. Der Geliebte präsentiert sich in einer veränderten Gestalt, die erst in der Anrede, der Nennung des Namens Maria, wahrgenommen wird, aber so eindrücklich, dass die Gefahr besteht, die Geliebte könne ihn umarmen, wie sie den lebenden Geliebten, der nun tot ist, einst zu umarmen gewöhnt war. Dies wird ihr um der Veränderung willen, die sich am Herrn Jesus vollzogen hatte, verwehrt. Er ist, so körperlich seine Erscheinung ihr auch vorgekommen sein mag, doch von einer anderen Wirklichkeit, die zwar wahrnehmbar, aber nicht fühlbar und anschaulich ist. Trotzdem besteht eine intensive Begegnung mit Anredecharakter. Die Vision wird zu einer Audition.

 

Johannes, der diese Szene komponiert und sie der Begegnung mit dem Zwölferkreis vorangestellt hat, die er am Abend des gleichen Tages stattfinden lässt, beantwortet in ihr die Fragen, die die Auffindung des leeren Grabes bei Markus offen gelassen hatte (Mk 161-8).

Hatten bei Markus die Frauen am Grab einen Engel gesehen, der ihnen auftrug: „Gehet aber hin und saget seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat“ (Mk167, par 1428), eine Aufforderung, der sie nicht nachkommen, denn Markus beschließt ja die Szene und damit sein Evangelium mit den Worten: „Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grabe; denn es war sie Zittern und Entsetzen angekommen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich“ (Mk168).

Dieser offenkundige Widerspruch zwischen dem Engelwort Vers 7 und dem Schlusssatz Vers 8, wonach die Frauen den Befehl des Engels nicht ausführten, ist dem Evangelisten selber nicht aufgefallen. Denn sein apologetisches Interesse war es ja, die Jünger mit dem leeren Grab nicht in Verbindung zu bringen, damit sie nicht, wie die jüdische Polemik es wollte, als Grabräuber in Betracht kämen.2 Das Engelwort bezeichnet bei Markus vielmehr den tatsächlichen Ablauf der Ereignisse. Danach zogen die Jünger nach Galiläa und dort begegnete ihnen Jesus, der ihnen dorthin vorausgegangen war.

 

Bei Johannes empfängt Maria vom Auferstandenen selbst den Befehl: „Gehe aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ Maria führt diesen Auftrag aus und verkündigt den Jüngern: „Ich habe den Herrn gesehen, und solches hat er all mir gesagt“ (Joh2018). Anders als bei Markus weist hier niemand auf die Erscheinung Jesu vor den Jüngern in Galiläa hin. Eine erste Begegnung folgt aber unmittelbar vor dem Zwölferkreis in Jerusalem (Joh2019-31) und eine zweite am See Genezareth (Joh211-14).

 

Eine Novelle ist jedoch, dass Johannes zwei Jünger Zeugen des leeren Grabes sein lässt (Joh201-10). Dies widerspricht, wie schon erwähnt, der Intention des Markus, die aber für Johannes keine Rolle spielt, denn er braucht die Jünger als Zeugen des leeren Grabes. Für ihn ist aber auch das Unverständnis der beiden Jünger wichtig. Nur der Lieblingsjünger glaubte angesichts des leeren Grabes, obwohl auch er noch nicht wusste, dass Jesus von den Toten auferstehen musste (Joh209); denn sie verstanden die Schrift noch nicht.

 

Die Jünger erhalten also zweimal eine Botschaft der Maria. Zum ersten die, dass das Grab leer sei, zum zweiten die, dass sie den Herrn gesehen hat (Joh202.18). Hier werden die beiden Osterereignisse, die Markus streng getrennt voneinander gehalten hat, die bei ihm auch räumlich in keinem Zusammenhang stehen, sowohl räumlich als auch inhaltlich miteinander verknüpft. Das Zeugnis des leeren Grabes erhält durch Petrus und Johannes seine (männliche) Legitimierung, die Erscheinung des Auferstandenen am Grab erhält den Charakter einer innigen Liebesbeziehung, die vor den Zwölfen hat den Charakter der Beauftragung der Jünger und ihrer Bevollmächtigung.

 

Diese Verschiebungen waren nötig, weil das Zeugnis der Maria für das leere Grab im Sinne eines Zeugenbeweises nicht ausreichte und nachdem die beiden Jünger die Funktion der Zeugen des leeren Grabes übernommen hatten, Maria eine andere Funktion bekommen musste. Es ist die Funktion einer Auferstehungszeugin, die zu den Jüngern sagt: Ich habe den Herrn gesehen. Mit dem Satz: Und solches hat er zu mir gesagt, lüftet sie das Geheimnis, das Markus über die Engelsbotschaft gelegt hatte, als er seinen Bericht abschließt mit den Worten: „Und sie sagten niemandem ein Wort“. Sie sagt ihnen, dass er auffahren wird zum Vater.

Von diesem Ereignis der Apotheose ist zu unterscheiden die Auferstehung nach der Schrift, die die Jünger angesichts des leeren Grabes noch nicht verstanden hatten. Als der Auferstandene kurz darauf von Maria an gleicher Stelle gesehen wird, sind die Jünger nicht mehr anwesend. Der Rollentausch zwischen den Jüngern und Maria entwertet zwar ihre Zeugnisfunktion, was das leere Grab angeht, verleiht ihr aber ein umso größeres Gewicht als Erste in der Reihe der Auferstehungszeugen. Der Wortlaut ihrer Begegnung mit dem Herrn, der bei Johannes drei Begegnungen mit den Jüngern folgen, nimmt Bezug auf Jesu Apotheose zum Vater als einem von seiner Erscheinung als Auferstandener unterschiedenen Ereignis, die beide als zeitlich voneinander unterschieden gedacht werden.

 

Da Johannes den Ablauf der Osterereignisse nach Markus korrigiert, muss er das Markusevangelium gekannt haben. Während die Frauen bei Markus das Geheimnis des leeren Grabes für sich behalten, teilt Maria dies den Jüngern unmittelbar mit; woraufhin Petrus und Johannes es in Augenschein nehmen. Ihre Begegnung mit Jesus am leeren Grab ist die zweite Ergänzung des Markusstoffes. Hat die erstere das Auferstehungszeugnis, über das Unverständnis der Jünger vermittelt, zum Gegenstand, so die letztere die zukünftige Himmelfahrt, die mit dem Berührungsverbot verbunden ist, durch das die Ankündigung derselben eingeleitet wird.

 

Der Ungehorsam der Frauen gegenüber dem Engelwort bei Markus wird also bei Johannes zum Gehorsam gewendet. Dadurch können die Jünger zu Zeugen des leeren Grabes werden. Maria erhält eine Vorrangstellung bei den Zeugen der Auferstehung Jesu, während Petrus und Johannes hinter ihr zurück treten, und Maria wird mit dem Auffahren zum Vater als einem zweiten eschatologischen Akt in Verbindung gebracht. Sie wird zur Verkünderin der Apotheose Jesu.

 

Anmerkungen: 

  1. Dschelaladdin Rumi (1207 – 1279)
  2. Hans Freiherr von Campenhausen: Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab, Heidelberg 1966, S. 37: Die Jünger, will der Evangelist sagen, hatten mit dem leeren Grabe überhaupt nichts zu tun. Die Nachricht von dem leeren Grabe hat sie zunächst überhaupt nicht, nicht einmal nachträglich, erreicht.
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