Die Odyssee eines Emigranten

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Frank-Matthias Hofmann
Johanna-Wendel-Straße 15, 66119 Saarbrücken

Albert H. V. Kraus: „Die Freiheit ist unteilbar!“ Der Historiker Helmut Hirsch. Weg und Wirken eines deutschen Emigranten vor dem Hintergrund des 20. Jahrhunderts. Prisma-Verlagsdruckerei, Saarbrücken 2004, 164 Seiten, 14.80 Euro, ISBN 3-00-012556-6.

 

Ein Leben, wie es nur das 20. Jahrhundert schreiben konnte: Mit politischer Verfolgung, Vertreibung, Exil, Angst um Leib und Leben. Hauptstationen dieses Lebensweges waren Wuppertal, Saarbrücken, Paris, Marseille, Chicago und jetzt, seit mehr als vier Jahrzehnten, Düsseldorf. Die Vita des heute 97-jährigen, in Düsseldorf lebenden Historikers Professor Dr. Dr. Helmut Hirsch steht für eine halbe Million deutschsprachiger Emigranten, die sich nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 ins Ausland retten konnten. Auch eine halbe Million Schicksale.

Über die Hintergründe eines Emigrantenschicksals, über enttäuschte Hoffnungen und gewährte Chancen auf dem bitteren Weg ins Exil und den nicht weniger beschwerlichen Weg zurück in die alte Heimat berichtet die Biographie Helmut Hirschs, die der saarländische Historiker Dr. Albert H. V. Kraus der Öffentlichkeit vorgelegt hat.

Die Machtübernahme Hitlers zwingt den Jungakademiker Hirsch 1933, seine hoffnungsvolle akademische Karriere in Leipzig abzubrechen. Er flieht mit seiner Lebensgefährtin Eva, geborene Buntenbroich, ins damals noch freie Saargebiet. Dort wird er Augenzeuge der Abstimmung des 13. Januar 1935. Anschließend Weiterflucht nach Frankreich. Gelegenheitsjobs, kleinere Publikationen und Sprachunterricht halten das Paar notdürftig über Wasser.

Die Nachgiebigkeit der Westmächte gegenüber Hitler stürzt Hirsch und viele seiner Mitemigranten von einer Enttäuschung in die nächste. Bei Kriegsausbruch 1939 wird er – wie alle Deutschen und Österreicher – interniert, seine Ehefrau muss ins berüchtigte Internierungslager Gurs am Fuß der Pyrenäen. Nach der Befreiung aus dem Lager und einem nicht ungefährlichen Intermezzo in Marseille rettet ein von Hubertus Prinz zu Löwenstein beschafftes Notvisum die beiden Hitlergegner in letzter Minute, am 21. Juni 1941, in die USA.

Die Vereinigten Staaten von Amerika bieten den Verfolgten Sicherheit und Schutz, doch kein bequemes Dasein. Fremde Hilfsbereitschaft und eigene Strebsamkeit lassen die Neuankömmlinge materiell überleben und beruflich vorankommen. Eva Hirsch beginnt als Fitness-Trainerin bei Helena Rubinstein, Helmut Hirsch bringt es vom Lagerarbeiter zum Professor für Europäische Geschichte in Chicago. 1961 kehrt der Emigrant in seine alte Heimat zurück. Besonderes Entgegenkommen erfährt er nicht. Ein Lehrstuhl an einer deutschen Universität bleibt ihm versagt.

Immerhin bot das Land Nordrhein-Westfalen dank der Fürsprache von Johannes Rau dem Rückwanderer Gelegenheit, an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie (1962-1969) zu lehren und als Honorarprofessor für Politikwissenschaft an der Gesamthochschule Duisburg (1972-1977) zu lesen.

In der Welt der Wissenschaft machte sich der remigrierte Forscher mit Werken zur deutschen Sozialgeschichte einen Namen. Sein Schaffen galt den großen Figuren des Sozialismus und der Arbeiterbewegung in Deutschland: Karl Marx, Friedrich Engels, August Bebel, Rosa Luxemburg und Ferdinand Lassalle. Den Vorkämpferinnen der Frauenemanzipation Bettine von Arnim und Sophie von Hatzfeldt widmete Hirsch einfühlsame Lebensbeschreibungen. Hirschs Rosa-Luxemburg-Biographie wurde ein internationaler Bestseller.

Der gebürtige Wuppertaler fühlte sich als Forscher dem Rheinland und seiner Geschichte in besonderer Weise verpflichtet. In seinem Buch „Freiheitsliebende Rheinländer“ hat er biographische Studien etwa über Friedrich Engels, August Bebel oder Ferdinand Lassalle versammelt. Karl Ludwig Bernays, einem Freund von Heine, Engels, Marx und Lincoln, gilt das jüngste, 2002 erschienene Werk des heute 97-jährigen Gelehrten.

Dem letzten Herausgeber der 1906 gegründeten „Düsseldorfer Lokal-Zeitung“, seinem Weg- und Leidensgefährten Dr. Siegfried Thalheimer (1899-1981), hat Hirsch verschiedene Studien gewidmet. Es ging ihm darum, Leben und Werk „eines der begabtesten Publizisten und Historiker der deutschen Emigration und Remigration“ vor dem Vergessen zu retten.

Helmut Hirsch sind zahlreiche Ehrungen zuteil geworden, darunter 1978 das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse, 1980 der Saarländische Verdienstorden und 1988 der Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen. Zwei Festschriften und mehrere Werksausstellungen würdigten das stets um Objektivität, Fairness und intellektuelle Redlichkeit bemühte Gesamtwerk Hirschs.

Das im Buchhandel oder unter der Email-Adresse ahv.kraus@t-online.de erhältliche Buch von Albert H.V. Kraus leistet einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von Weg und Werk des Gelehrten. Die dunklen Schatten der NS-Diktatur haben es nicht vermocht, die Anhänglichkeit Hirschs an seine rheinische Heimat und sein deutsches Vater- und Mutterland zu zerstören.

Der Autor Albert H. V. Kraus, Dr. phil., geb.1949 in Hüttigweiler/Saar, Historiker und Publizist, ist Verfasser zahlreicher wissenschaftlicher Studien und publizistischer Beiträge zur Zeitgeschichte.

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