Aufbruch – Klärung – Widerstand

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Frank-Matthias Hofmann
Am Kantor-Josef-Jacob-Platz 1, 67067 Ludwigshafen

M. Beintker, Chr. Link, M. Trowitzsch (Hrg.), Karl Barth in Deutschland (1921-1935). Aufbruch – Klärung – Widerstand. Beiträge zum Internationalen Symposion vom 1.-4. Mai 2003 in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden, Theologischer Verlag Zürich 2005, 500 Seiten, Hardcover, ISBN 3-290-17344-5, € 40,-

Während meines Kontaktsemesters an der Universität Heidelberg im Sommer 2003 wählte ich mir das Internationale Symposion zu Karl Barths Zeit in Deutschland von 1921-35 in Emden/Ostfriesland als zusätzliche Fortbildungsveranstaltung aus. Nach längerer Zugreise, zuletzt als „Zuckelstrecke” auf dem sog. „Ostfriesenspieß” durchs Emsland, vorbei an satten grünen Wiesen und Weiden, schwarz-bunte Kuhherden, niederländisch anmutenden Wasserflüssen und Ziehbrücken an Hauptverkehrsstraßen kam ich in Emden, der Stadt, die man das „Genf des Nordens” nennt, an.

Die Tagungsstätte war die Ruine der ehemaligen Großen Kirche zu Emden, die 1992 bis 1995 von der Evangelisch-reformierten Kirche (Synode evangelisch-reformierterGemeinden in Bayern und Nordwestdeutschland) zu einer wissenschaftlichen Bibliothek und Forschungsstätte zum Reformierten Protestantismus wieder aufgebaut worden ist und durch architektonische Eleganz und die Verbindung von historischen Baumaterial und moderner Ausstattung beeindruckt. Die Evangelisch-reformierteGemeinde Emden und die Evangelisch-reformierte Kirche haben als Stifter 1993 die ehemalige Bibliothek der Emder Gemeinde rechtlich verselbständigt zur „Stiftung Johannes a Lasco Bibliothek Große Kirche Emden“.

Bis in die 1990er-Jahre war es still um Johannes a Lasco gewesen, ehe der wohl von allen Reformatoren der ersten Hälfte des 16.Jahrhunderts am weitesten gereiste neue Faszination ausübte: A Lasco ist aber als Pole, der Ungarn, Italien, Deutschland, Frankreich, die Schweiz und die Niederlande, England sowie kurz und unglücklich auch Dänemark bereiste, aufgrund der äußeren Biographie eine transnational-europäische Figur.

Er war Schüler des Erasmus von Rotterdam und von 1542 bis 1549 Superintendent der ostfriesischen Kirche und gilt als der Reformator Ostfrieslands. Danach hat er als Superintendent der Londoner Exulantengemeinde Ordnungen der Kirche und ihres Gottesdienstes entwickelt, die bestimmend für die niederländisch-reformierte Kirche geblieben sind, aber auch auf die englische Reformationsgeschichte eingewirkt haben. Nach abermaliger Vertreibung und Betreuung der Flüchtlingsgemeinden in Frankfurt am Main hat Johannes a Lasco ab 1556 den Grundstein für die reformierte Kirche in seinem Heimatland Polen gelegt, wo er 1560 verstarb.

Wie nur wenige hat er europaweit gewirkt. Mit seinen Arbeiten zur Organisation der Kirche und zur Feier des Gottesdienstes hat Johannes a Lasco einen bleibenden Einfluss auf den reformierten Protestantismus insgesamt ausgeübt.

Vor diesem geschichtlichen Hintergrund des reformierten Protestantismus fand das Nachdenken unter einem großen Gemälde des polnischen Reformators und Humanisten darüber statt, wie unter Karl Barths Einfluss es in den Jahren 1921 (Barths Berufung nach Göttingen) und 1935 (Vertreibung Barths durch die Nationalsozialisten aus Deutschland) zu einer umwälzenden Neuorientierung der evangelischen Theologie und nach 1933 zur Formierung des Widerstands gegen die nationalsozialistische Kirchenpolitik kam.

Nun ist 2005 endlich der umfangreiche Sammelband bei TVZ erschienen, in dem man alle Vorträge und auch die abschließende Plenumsdiskussion nachlesen kann, ein verdienstvolles Projekt, wie ich meine, und für die, die sich für K. Barths Theologie interessieren, unbedingt eine Bereicherung ihrer Bibliothek.

Karl Barths Ort in der Theologiegeschichte – ein spannendes Thema, das sowohl historisch als auch theologisch zu entfalten ist. Bruce Lindley McCormack entfaltet in seiner Einleitung Kriterien für die Ortung der theologiegeschichtlichen Platzierung Barths und resümiert, dass, wenn man Barths „Kirchliche Dogmatik” mit berücksichtigt, es wohl nur einen ernstzunehmenden Konkurrenten gebe, der es mit der Größe Barths hinsichtlich der Ausführlichkeit dogmatischer Erörterungen und der strengen Beobachtung von Detailproblemen aufnehmen könne: Die Summa Theologiae des Thomas von Aquin. In der Moderne ist er gewiss neben Schleiermacher der bedeutendste Theologe.

In dem Buch, dessen Mitarbeiterverzeichnis sich wie die Crème de la Crème der Barth- und Theologiegeschichtsforschung liest, befinden sich zunächst alle Plenarvorträge: Cornelis van der Kooi untersucht K. Barths zweiten Römerbrief und seine Wirkungen. Hinrich Stoevesandt stellt den Grundriss der Theologie Barths in der Göttinger Dogmatikvorlesung vor. Weitere Einzelvorträge von M. Beintker („zu „Fides quaerens intellektum”), W. Krötke (Theologie und Widerstand bei K. Barth) und E. Herms („K. Barths Entdeckung der Ekklesiologie als Rahmentheorie der Dogmatik und seine Kritik am neuzeitlichen Protestantismus”) folgen.

In einem zweiten Teil „Kontroversen und Dispute” werden die Auseinandersetzungen Barths mit Adolf von Harnack (H.-A. Drewes), Emanuel Hirsch (H. Assel), Heinrich Scholz (A. v. Molendijk), Emil Brunner (G. Sauter), dem theologischen Liberalismus (J. Rohls) und Erik Peterson (B. Nichtweiß) vorgestellt. Schwere Kost stellt G. Pfleiderers Beitrag „Inkulturationsdialektik – Ein Rekonstruktionsvorschlag zur modernitätstheoretischen Barthinterpretation” dar.

Im dritten Teil werden Exegesen zur Werksgeschichte Barths präsentiert: Christian Link spürt den bleibenden einsichten des Tambacher Vortrags nach, Dietrich Korsch und Michael Trowitzsch beschäftigen sich mit Barths Hermeneutik. Georg Plasger richtet den Blick auf K. Barth und die reformierte Tradition, Sándor Fazakas auf die Pariser Vorträge von 1934. Michael Hüttenhoff nimmt sich des interessanten Themas der theologischen Opposition 1933 an und beleuchtet K. Barth und sein Verhältnis zur Jungreformatorischen Bewegung, ehe Eberhard Busch mit seinem Spezialgebiet „Barth und die Juden 1933-1935″ aufwartet.

In „IV. Ausklang” ist die Predigt des damaligen Landessuperintendenten Walter Herrenbrück (sein Nachfolger Jann Schmidt nennt sich jetzt wie in der Pfalz Kirchenpräsident!) sowie eine Mitschrift des Abschlußpodiums abgedruckt, in dem Resümee gezogen und Perspektiven aufgezeigt werden, wie weiter mit der Rezeption der Theologie K. Barths umgegangen werden kann.

Am meisten hat mich persönlich der allgemeinverständliche Vortrag von Eberhard Jüngel beeindruckt, den er beim Abend der Leeraner Kirchenleitung mit Empfang, der für die breitere Öffentlichkeit gedacht war und regen Zuspruch fand, hielt, und der ebenfalls abgedruckt ist. E. Jüngel stellt sich in diesem Vortrag vehement gegen Versuche, die Theologie K. Barths „aufs Altenteil” abzuschieben und durch die Rede vom „postbarthianischen Zeitalter” alle Fragen, die Barth aufgeworfen und auf seine Weise entfaltet hat, als obsolet hinzustellen. Viele heutige Theologen ärgerten sich über seine provozierende Theologie und sprächen ihm allenfalls eine „gewisse historische Bedeutsamkeit” zu: „… es war einmal … Karl Barth – ein Fall für die Archäologie des Geistes, also alles andere als aktuell.” (S. 41). Diese Versuche der „Historisierung” Barths wären auch außerhalb seiner Zunft wahrzunehmen: Die Deutsche Bundespost hat zu seinem hundertsten Geburtstag eine Sondermarke mit seinem Kopf herausgebracht und „damit auf ihre sehr weltliche Weise etwas ähnliches getan wie die römisch-katholische Kirche, wenn sie einen Menschen zur Ehre der Altäre erhebt. Nur dass die Bundespost als Bedingung für eine Sondermarke nicht verlangt, dass der auf ihr Abgebildete Wunder vollbracht haben muß. Vergessen die Zeit, in der alle seine Druckerzeugnisse in Deutschland verboten waren? Weiter: Seine Autorität wurde anläßlich seines 100. Geburtstages immerhin im deutschen Bundestag sogar von einem CDU-Kanzler in Anspruch zu nehmen versucht. Vergessen die Zeit, in der auf Drängen Konrad Adenauers der damalige Bundespräsident Theodor Heuss die Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels zu verhindern wusste?” (ebd.)

Jüngel wendet sich gegen jeglichen Versuch, K. Barth durch respektvolle Würdigung seiner Bedeutung mehr oder weniger unschädlich zu machen. Barths provozierende Theologie sei nur deshalb so, weil sie sich selber habe provozieren lassen – nämlich von nichts anderem als vom Wort Gottes, den biblischen Texten, die nur insofern Gottes Wort seien, „als sie Menschen in ihrer Gegenwart anreden und dieses Gegenwart neu qualifizieren. Sich herausfordern lassen durch Gottes Wort und eben deshalb auch von der Tagespolitik – das kennzeichnet die rechte theologische Existenz.” (42)

Der Sammelband ist der Anschaffung wert, auch wenn man ihn nicht von vorne bis hinten durchlesen mag – ein gutes Nachschlagewerk ist er ebenfalls. Er unterstreicht noch einmal, was Prof. Michael Welker (Heidelberg) mir in einem Gespräch während meines Kontaktstudiums bestätigte, als ich ihn darauf ansprach, dass viele Theologen von heute K. Barth gerne verabschiedet sähen aus der theologischen Diskussion: Dass es nämlich keinen anderen Theologen gäbe, der so viel Sekundärliteratur hervorbringe, wie derzeit immer wieder K. Barth und dass wir mit ihm noch lange nicht fertig seien, auch wenn wir freilich mit mehr zeitlichem Abstand auch manches weiterzuentwickeln hätten, so wie das Barth übrigens zeitlebens selber praktiziert habe: Immer von Neuem „mit dem Anfang anfangen”. Barth war sich seiner eigenen Grenzen immer bewusst.

Nicht zuletzt ist das Verdienst Barths, wie es ein Barth gegenüber außerordentlich kritischer Lutheraner formuliert hat: er sei aufgrund seiner aus dem Barmer Bekenntnis gezogenen weit reichenden praktischen Folgerungen der „Seelsorger unterdrückter Völker und das Gewissen der Christenheit” Europas. Doch die bloße Widerholung solcher Urteile legt den Verdacht auf Heldenverehrung nahe und droht die Grenzen zu überspielen, innerhalb derer die provozierende Theologie Karl Barths große Theologie war. Was Franz Grillparzer von Mozart gesagt hatte, gilt auch von seinem Verehrer: „Nennt ihr ihn groß? Er war es durch die Grenze. Was er getan und was er sich versagt hat, wiegt gleich schwer in der Schale seines Ruhms.”

Und Jüngel schließt: „Weil diese Theologie ihre Grenzen kannte und an ihren Grenzen sich abarbeitend ihre unverwechselbare Intensität gewann, war sie eine entdeckende Theologie. Es gehört zum Bewusstsein der Grenzen der eigenen theologischen Existenz, dass sie sich nicht selber repetiert und damit zwangsläufig langweilig wird, sondern dass sie immer wieder mit dem Anfang anfängt … .mit einem Anfang, den nicht wir gesetzt haben, sondern Gott selbst: ursprünglicher Anfang, schöpferischer Anfang! Und eben deshalb erfüllt Barths Theologie noch immer die Forderung, die der von diesem Anfang provozierte und eben deshalb seinerseits provozierende Theologe sich selber und uns allen ins Stammbuch geschrieben hat, nämlich: ‚Nur keine langweilige Theologie!'”

Mit der Erinnerung an diese Forderung Barths hatte E. Jüngel in seinem öffentlichen Vortrag dem gelehrten Symposion und hat diesem nun publizierten, empfehlenswerten Buch seine Parole gegeben: „Nur keine langweilige Theologie!”. Die wird einem bei Karl Barth selber gewiss nicht begegnen.

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