Ortsgemeindenideologie? Den Blick weiten

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Dr. Michael Gärtner
Emil-Nolde-Straße 10, 67061 Ludwigshafen

Es steht viel Richtiges im Impulspapier des Synodalen Forums vom 31. Oktober 2016, aber auch manches Fragwürdige. Dieses Fragwürdige bündelt sich für mich in den Aussagen über die Stellung der Ortsgemeinde in diesem Text.  

„Der Gottesdienst in den Ortsgemeinden ist Mittelpunkt kirchlichen Handelns.“ Unbestritten ist der Gottesdienst eine der wichtigsten Ausdrucksformen von Kirche. Aber ist dieser Satz wirklich so richtig. In nicht wenigen Gemeinden ist es ein zahlenmäßig kleiner Mittelpunkt, wenn man auf den Gottesdienstbesuch außerhalb von Festtagen und Zielgruppengottesdiensten schaut. Ein Phänomen übrigens, das bei manchen unserer jüngeren Kolleginnen und Kollegen Frustration bewirkt. Zahlenmäßig sind in anderen Handlungsfeldern der gleichen Kirchengemeinden mehr Menschen zu finden – im Kindergarten, in der Konfirmandenarbeit oder im Religionsunterricht des Gemeindepfarrers oder der Gemeindepfarrerin.  

Als Zielbeschreibung finde ich diesen Satz prima. An der Umsetzung muss noch gearbeitet werden. Die freien Gemeinden sind uns da ein Stück voraus.   Übrigens: Gottesdienste gibt es nicht nur in Ortsgemeinden – und als Jesus von den Zweien oder Dreien sprach, die in seinem Namen versammelt sind, so setzte er nicht das Wort „Ortsgemeinde“ hinzu.  

„Darum müssen Kirchenstrukturen immer auf die Erfordernisse der Arbeit in den Kirchengemeinden vor Ort ausgerichtet sein.“ Richtig ist, dass es die Aufgabe von Verwaltungseinrichtungen, auch des Landeskirchenrates als Verwaltungseinrichtung, ist, Sorge dafür zu tragen, dass die Kirchengemeinden ihre Arbeit machen können. Und niemand freut sich meiner Erfahrung nach mehr über lebendige Kirchengemeinden als die Mitarbeitenden in den Verwaltungseinrichtungen. Aber nicht nur die Kirchengemeinden vor Ort sind Kirche. Und wenn die Kirchengemeinden vor Ort alles das leisten müssten, was meines Erachtens zu einer lebendigen Kirche gehört, dann wären sie überfordert – sowohl die Haupt- als auch die Ehrenamtlichen. Zu einer lebendigen Kirche gehören für mich unter anderen die Pflege der weltweiten Ökumene, Mission vor Ort, Unterhalt diakonischer Einrichtungen, Gewährleistung des Religionsunterrichts entsprechend der Regelungen des Grundgesetzes, Gespräche mit Vertretern der Landespolitik, den Gewerkschaften und Unternehmerverbänden, sozialethische Positionierung in der Öffentlichkeit – unter anderen zu Fragen von Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung – und eben vieles mehr, was Kirche nur leisten kann, wenn sie mehr ist als Ortsgemeinde. Dafür muss Kirchenleitung und Kirchenverwaltung sorgen. Das kann nicht vor Ort geschehen.  

„Der Zuspruch Gottes erreicht Menschen an konkreten Orten!“ Da hat das Impulspapier recht, nur definiert es „Orte“ zu eng. Gottes Zuspruch erreicht die Menschen auch in Beratungsstellen und Krankenhäusern, bei Arbeitnehmertagungen auf der Ebernburg und bei Veranstaltungen der Evangelischen Akademie im Butenschoenhaus und an vielen anderen Orten. Ich habe es erlebt, wie nah Gott den Menschen an diesen Orten sein kann.  

Ich bin enttäuscht über die Engführung dieses Papiers. Es ist nicht mein Bild von Kirche, was sich darin spiegelt. Ich befürchte hinter dieser Verengung auf die Ortsgemeinde steht die Erfahrung, dass die Arbeit in den Ortsgemeinden so viel schwerer geworden ist in den letzten Jahrzehnten. Diese Erfahrung teile ich. Manches Mal habe ich den Eindruck, dass die Erfahrung, die viele von uns machen, gerade die ist, dass es angesichts zurückgehender Zahlen immer schwieriger wird, die Ortsgemeinde wirklich als den Mittelpunkt kirchlichen Handelns zu sehen. Das ist eine schmerzliche Erfahrung auch für mich. Es ist schade, dass nicht mehr alle Jugendliche eines Jahrgangs zur Konfirmation gehen, dass viele Paar eine kirchliche Trauung nicht mehr wünschen, dass die Bestatter bald wichtiger sind als die Pfarrer und Pfarrerinnen.  

Eine Weg für die Zukunft sehe ich nun aber angesichts zurückgehender Zahlen und zurückgehender Bedeutung gerade nicht darin, sich auf den Ort zurückzuziehen, sondern sich als christliche Gemeinde weiter zu fassen, über den Ort, an dem ich lebe, hinaus. Eben als Gemeinde in der Region, im Bezirk, wo auch immer ich meine persönliche Grenze ziehen möchte. Die Erfahrung, dass Kirche nicht an den Grenzen meines Ortes aufhört, dass es Mitchristinnen und Mitchristen auch an anderen Orten gibt, diese Erfahrung macht stark. Je kleiner wir werden, umso weiter müssen wir schauen.

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