Nur Gucken, nicht anfassen? Lesung ohne Schrift?

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Dr. Ludwig Burgdörfer
Westbahnstraße 4, 76829 Landau

Noch einmal böse Beobachtungen eines Wanderpredigers

Sie liegt da. Immerhin. In jeder Kirche ist sie vorhanden. Kein Altar ohne Altarbibel. Insofern ist sie unverzichtbares Inventar offenbar. Aber das will noch nichts heißen. Da darf man sich nicht zu früh freuen. Es konnte sich auch um eine Fata Morgana handeln. Zumindest um eine optimistische Täuschung. Dass sie da ist, das garantiert noch lange nicht ihr Dasein. Was ihren Stellenwert betrifft, ihre Funktion, ihre Bedeutung im Leben der Gemeinde, die sich zum Gottesdienst trifft, sagt ihre bloße Anwesenheit nicht unbedingt, dass sie auch wesentlich ist.

Da muss der Wanderprediger auf alles Mögliche und sogar auf alles Unmögliche gefasst sein. Und oft ist der Überraschungseffekt sehr groß. Es kann nämlich sein, dass sie seit gefühlten hundert Jahren schon darauf reduziert worden ist, nur noch da zu liegen. Womöglich sogar aufgeschlagen. Aber sie ist es nicht mehr gewohnt, angefasst zu werden. Sie erschreckt sich zu Tode, wenn man sie berührt.

„Nur Gucken, nicht anfassen!“ heißt die unausgesprochene liturgische Anweisung. Entsprechend ist ihr Zustand. Was nicht regelmäßig in Gebrauch ist, das verwahrlost und verblasst. Was nicht angenommen und hoch gehalten wird, das wird festgelegt auf eine bloße Statistenrolle. Dann kann es schon auch einmal vorkommen, dass sie kurzerhand herhalten muss als Ablage für ein Blumengebinde, als Tablett für Einzelkelche, oder als Unterlage für zu überreichende Geschenke, Urkunden oder Taufkerzen. Und wenn man sie dann einmal wieder aus der Versenkung holt, ahnungslos als Gast, dem das Schicksal dieser Altarbibel gänzlich verborgen geblieben ist, dann kann es schon sein, dass eine laute Stimme einem zur Ordnung ruft. „Die wird bei uns nicht benutzt! Haben Sie keine eigene Bibel dabei? Seit ich denken kann, nehmen wir die nicht mehr im Gottesdienst. …“

Und dann schaut der Wanderprediger etwas genauer hin und stellt traurig fest: Sie hat eine unleserliche Schrift, sie ist unsagbar schwer, ihr fehlen Seiten, und zwar womöglich genau die, die jetzt gerade gesucht sind. Wachstropfen und Wasserflecken sind ganz normal. Sie ist verklebt und ihr Einband zerschlissen. Sie dient als Schublade für Streichholzschachteln und als letzte Ruhestätte für tote Fliegen. Der Staub ist absolut museumsreif und könnte heilsame Wirkung haben, wenn er heilig gesprochen würde. Subito! Jede Menge Liedzettel habe ich gefunden.

Sie waren einmal ausgehändigt worden, um die richtigen Ziffern anschlagen zu lassen an die Liedertafel. Abkündigungsreste, Namen von kasual wohlwollend versorgten Gemeindegliedern bis zurück ins dritte und vierte Glied, derer die es zuließen. Archäologisch wertvolle Funde sind garantiert, museale Bedeutung unbestritten, der Status einer Art Reliquie durchaus zugesprochen. Nur leider nicht mehr am Leben, am Leben der Gottesdienstgemeinde beteiligt.

Dabei spricht es doch Bände, wenn die Altarbibel nicht benutzt, aufgeschlagen, geblättert wird. Sie ist damit zum Gegenstand ohne Bezug reduziert und spielt keine Rolle mehr. Das Gegenteil habe ich schon öfter bei einem Freund erlebt, in dessen Gemeinde an jedem Sonntag die Bibel herein getragen und feierlich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt wird. Ich bin davon überzeugt, dass die Konfirmandinnen und Konfirmanden, die das während ihrer  Zeit des Unterrichtes tun, beeindruckt sind, weil sie sozusagen unmittelbar begreifen, dass dieses Buch mit seinem Einzug definitiv unverzichtbar und wesentlich ist. Und wenn sie dabei auch noch eine im wahrsten Sinne des Wortes tragende Rolle spielen, dann partizipieren sie nebenbei auch noch am wertvollen Mehrwert. Die Bibel kommt vor, sie kommen vor, es geht um die Mitte, es wird getragen, weil es trägt.

Das Gästebuch Gottes im Menschenhaus, das Lesebuch und Lebebuch des Glaubens, es darf nicht in die Bedeutungslosigkeit hinein mumifiziert werden. Und wenn sie zu alt, zu unbrauchbar, zu unpraktisch geworden ist, dann wird eben eine neue, schöne, wertvolle angeschafft und feierlich in Dienst genommen.

Das Buch der Bücher ist noch nicht ausgelesen. Und in unseren Gottesdiensten stehen wir Modell für den regen Gebrauch oder die Belanglosigkeit. Eine Schriftlesung geht einfach nicht ohne die Heilige Schrift.

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