Reisen für den Frieden

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Andreas F. Kuntz
Bismarckstraße 128, 32049 Herford

Jericho ist ein beliebtes Ziel auf vielen Bildungs- und Pilgerreisen ins Heilige Land. Hier heilte und rastete Jesus, als er nach Jerusalem pilgerte. Hier soll der Prophet Josua die berühmte Prozession der biblischen Israeliten um eine feindliche Stadt herum angeführt haben. Heute besuchen Reisende mit Jericho auch ein Städtchen in den besetzten palästinensischen Gebieten, das mit vielen Sehenswürdigkeiten aufwarten kann. Obwohl das Reisen ungefährlich ist, bleibt es meistens bei einer Stippvisite. Der staubige Hügel mit vielen übereinander liegenden Schichten der ältesten Kulturen der Menschheit, einen der am längsten besiedelten Orte der Welt, ist meistens ein Muss im Reiseprogramm. Pilger besuchen vielleicht eine der vielen Kirchen, die an berühmte Propheten oder an den christlichen Messias Jesus erinnern. Touristen fahren mit der Gondelbahn oder erkunden die Überreste eines der Winterpaläste, darunter den islamischen Palast mit einem Mosaik von überwältigender Schönheit.

Die palästinensischen Einwohner Jerichos sind wie überall in Palästina sehr gastfreundlich. Wie sehr diese Gastfreundlichkeit Augen und Herzen für die Realität des Zusammenlebens öffnen kann, beschreibt ein ehemaliger israelischer Soldat [1] sehr eindrücklich. So frei, wie dieser Soldat zu Beginn der Ersten Intifada den Tourismus erlebt hat, ist er allerdings nicht mehr. Heute sind die meisten Einwohner vom Nutzen des Tourismus ausgeschlossen. Lokale Kartelle arbeiten mit dem internationalen Tourismus Hand in Hand und bestimmen, wie Besuchergruppen die Sehenswürdigkeiten erleben und wo sie ihr Geld ausgeben. Die Einwohner Jerichos haben keinen Zugang zu den Touristen. Mit Glück und Beziehungen bekommen sie billige Arbeitsplätze. Oft ist den Reisenden gar nicht bewusst, dass sie mit ihrem Besuch gerade diese Strukturen auch noch verstärken.

Mit neu ausgebildeten Tour Guides, wie hier die einheimischen Reiseleiter heißen, hat das forumZFD Büro in Jericho 2013 ein Projekt durchgeführt. Richtschnur war dabei „Richte keinen Schaden an“. Die Tour Guides nannten sich jetzt „Jericho Guides“ und setzten sich neue Ziele. Sie planten Touren in der Oase und untersuchten, wie diese Touren gestaltet werden können, ohne dass sie Ungerechtigkeit und Konflikte verstärken. Auch Erklärungen aus palästinensischer Perspektive wurden getestet. Wichtig war dabei, Alternativen zu diskriminierenden oder konflikt-verschärfenden Erklärungsmustern zu entwickeln. Das forumZFD unterstützte die Tour Guides dabei in der Anwendung der Methodik aus der zivilen Konfliktbearbeitung.

Bei der Erkundung der eigenen Heimat fiel den „Jericho Guides“ deutlicher als im Alltag auf, dass sich verschiedenste Bevölkerungsgruppen im Laufe der Zeit in der Oase angesiedelt haben. Eine Fahrradtour zu den Quellen der Oase führt entlang der Kanäle auch durch das Dorf Nuwei’meh, dessen Bewohner sich auf die Nubier, ein Volk am Nil, zurückführen. Für Issa Abu Rahmeh liegt es nahe, dort eine Rast einzulegen und die Gäste beispielsweise bei einer Begegnung mit der Frauenkooperative zu begleiten: „Wir Palästinenser sind unterschiedlicher, als es von außen den Anschein hat. Das ist unsere kulturelle Vielfalt.“

Die „Jericho Guides“ entwickelten ihre Touren nach dem Motto „das Mosaik des Zusammenlebens aufdecken“, ein Hinweis auf die zahlreichen Mosaiken in den öffentlichen Bauten der spätrömischen und frühislamischen Zeit und ihrer Vielfalt, aber auch ein Hinweis auf die Vielfalt heute. Außerdem bieten sie einen Spaziergang zu den ökologischen Herausforderungen und Fahrradtouren durch die Gemeinden der Oase an. Die moderne Wasserverteilung in der Oase ist konfliktträchtig und hat ökologische Folgen. Diese Konflikte, aber auch die Besatzung und ihre Auswirkungen werden nicht verschwiegen.

Normalerweise spielen kritische Informationen und authentische Begegnungen bei den Besuchen in Jericho keine Rolle, obwohl manche Jericho auch die „Oase des Friedens“ nennen. Viel eher hören die Gäste Geschichten, die ihnen einen kalten Schauer den Rücken hinunter laufen lassen. Die vom grausamen Herrscher Herodes ist geradezu klassisch: Die führenden Männer judäischer Ortschaften – so erzählt es Flavius Josephus [2] – werden im königlichen Stadion für Wagenrennen versammelt; sie sollen im Falle des Ablebens des Herrschers getötet werden und damit für Trauer im Land sorgen. Hinzu kommt eine berühmte biblische Geschichte: Der perfekte Prophet Josua führt eine Prozession der biblischen Israeliten um die feindliche Stadt Jericho und den anschließenden Massenmord an. Kann so etwas im Namen des Glaubens geschehen sein? Dafür haben die Ausgräber trotz intensiver Suche keinerlei Hinweise finden können. [3] Im Glauben an eine wörtliche Wahrheit der Bibel wird oft überlesen, dass Josua selbst derjenige ist, der die Alternative in diesem Streit um den Umgang mit Andersgläubigen aufzeigt: Er führt einen Friedensvertrag durch, der auf dem Zusammenleben der Bewohner der Oase beruht. Viele Generationen später, zur Zeit des Zweiten Tempels, wissen sowohl die Bewohner des Landes, als auch die Autoren dieser Geschichte vom Friedensvertrag darum, dass sie mit Anderen in der Oase leben, und das mit Recht. [4]

Was heißt eigentlich konflikt-sensibel? Den einheimischen Bewohnern der Oase so begegnen, dass auch sie Einkommen generieren können, faire Preise für ihre Produkte und faire Bezahlung für ihre Arbeit erhalten. Konflikt-sensibel wären auch Lernerfahrungen der Reisenden, die nicht auf reißerische Effekte, sondern auf das Erleben der Gastgebenden und ihrer Kultur, ihrer täglichen Herausforderungen und auch ihrer Hoffnungen Wert legt. Konflikt-sensibel ist es, Geschichten von Gewalt nicht zu betonen, sondern wenn, dann aus der Perspektive der Sanftmütigen zu erzählen. Konflikt-sensibel ist es auch, ein Verständnis dafür entwickeln zu können, dass die Besatzung eben gerade keine „normale“ Situation ist, sondern von einer Struktur der Gewalt geprägt ist.

Worauf können Reisende achten, wenn sie nach Palästina und Israel reisen wollen? Es ist nicht leicht abzuschätzen, was die jeweils angebotene Reise an Didaktik, an bewusster Darstellung des Konflikts und sozialer Verantwortung bietet. Die oberflächliche Beschreibung einer konventionellen Reisephilosophie, die zu knappe Zeiteinteilung und die zu große Menge der besuchten Orte sind indirekte Indikatoren für wenig Sensibilität für die Situation vor Ort. Ein gesundes Maß an Begegnungen, etwa eine pro Tag, deuten eventuell auf Qualität hin. Zur Zeit gibt es weder eine Zertifizierung für fairen Tourismus noch für konflikt-sensiblen Tourismus. Daher kommt es immer noch auf die Initiative der Reisenden an. Der Dar Al-Kalima Förderverein hat mehrfach gezeigt, wie eine Reise auf die Begegnung mit den Zivilgesellschaften ausgerichtet werden und zu Aktivitäten der Heimgekehrten führen kann.

Was fordern Einheimische an Fairness und Verantwortung ein? Verschiedene Kirchen haben Empfehlungen ausgesprochen, etwa kirchliche Gästehäuser und Gottesdienstbesuche zu Begegnungen mit Einheimischen zu nutzen. Katholische Hilfsorganisationen im Heiligen Land haben kürzlich mit Unterstützung des Zivilen Friedensdienstes einen Ratschlag für Touristen und Pilgernde gleichermaßen formuliert. [5] Die Palästinensische Initiative für verantwortlichen Tourismus (PIRT) hat einen Kodex aufgestellt, der als Richtlinie dienen kann. Im „Reisehandbuch Palästina“ der Alternative Tourism Group (ATG) finden sich Hinweise auf Begegnungsmöglichkeiten. [6]

Israelische Aktivisten wie das Komitee gegen Hauszerstörungen (ICAHD) führen Touren [7]durch, die Auswirkungen der Gewaltstrukturen zeigen. Interreligiöses Lernen bietet der Interreligiöse Koordinierungsrat Israel [8] an, das Haus des Reformjudentums in Israel Touren[9] zur Vielfalt in Jerusalem. Erste Versuche eines nachhaltigen oder ländlichen Tourismus in Palästina finden sich bei Abrahams Pfad [10] oder dem Nativity Trail [11]. Für Pilger hat die ökumenische Initiative Kairos Palästina Richtlinien in der (englischen) Broschüre „Come and See“ [12] zusammengestellt. Tourism Watch – Brot für die Welt und Misereor haben in einer ausführlichen Broschüre Orientierungen für faires, begegnungsorientiertes Pilgern in Israel und den palästinensischen Gebieten unter Berücksichtigung des Völkerrechts zusammengestellt. [13]

Sie haben schon gebucht? Sagen Sie ihrem Anbieter, was Sie erwarten und erhoffen: Begegnungen mit Einheimischen, angeleitete Reflexion des Erlebten und eine konflikt-sensible Begleitung der Reise. Fair bemessene Zeit und faire Inanspruchnahme von Dienstleistungen in den besetzten palästinensischen Gebieten sollten selbstverständlich sein. Nur so verstehen Veranstalter, dass ihre Kunden darauf wirklich Wert legen; denn üblich ist eine konflikt-sensible Darstellung des Konfliktes oder der Geschichten vom Zusammenleben noch nicht. Auch Besuche von Sehenswürdigkeiten in den besetzten palästinensischen Gebieten sind wegen der Komplexität der Situation und des organisatorischen Aufwandes leider nicht die Regel.

Worauf können Veranstalter und Gruppenverantwortliche achten, wenn sie eine Reise planen?

Weniger Sehenswürdigkeiten in das Reiseprogramm stopfen, dafür mehr Begegnung und mehr Zeit für Reflexion einplanen. Dazu gehört auch die Wertschätzung für die Anstrengung der einheimischen Partner, in einer Konfliktsituation und in den besetzten palästinensischen Gebieten die Reise und eine gute Reiseleitung möglich zu machen. Legen die Veranstalter ihren Produkten ernsthaft die Sorgfalt für Menschenrechte, internationales Völkerrecht und soziale Verantwortung zu Grunde, werden die Reisen anders aussehen. Konventionelle Reisen werden sich dann als „Business as usual“ erweisen. [14] Die völkerrechtliche Komplexität wird meistens nicht angesprochen. Die Situation erscheint dann als unveränderlich und die Besucher schreiben die Möglichkeiten von Veränderung ab, und im Grunde auch die Menschen in Israel und Palästina mit ihren zivilgesellschaftlichen Ambitionen. Damit trägt die Reise zur Verschärfung der Konfliktsituation bei. Als Übergangslösung bietet es sich an, mit Aktiven aus der palästinensischen und israelischen Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten, die Tagestouren anbieten. Wichtiger wäre es allerdings, langfristig auch das Reisen zu verändern und von Grund auf konflikt-sensibel zu gestalten.

Bedenken müssen die Verantwortlichen auch, dass die Moderation einer von den Emotionen, Informationen und Eindrücken her anspruchsvollen Reise echte Friedensarbeit ist: Der Kontakt zur Konfliktsituation alleine fördert nicht automatisch die Arbeit für den Frieden. Das durchaus mutige Sich-Aussetzen einer ungerechten Situation gegenüber führt oft genug zu Enttäuschung. Eine entsprechende Fortbildung beim Veranstalter wie auch der deutschen Begleitung der Reisen bringt sicherlich Früchte für die Unternehmensverantwortung, am allermeisten aber für die Reisenden, die informiert zurückkehren möchten.

Eine nachhaltige Veränderung können ausländische Veranstalter nur durch einen geduldigen Dialog mit ihren Geschäftspartnern vor Ort erreichen, in dem es darum geht, mehr Gerechtigkeit für die Bereisten, mehr Begegnung mit Einheimischen und mehr Weiterbildung für einheimische Reiseleiter umzusetzen. Innerhalb der Geschäftsbeziehung müssen konkrete Schritte vereinbart und beobachtet werden. Ein kompletter Stopp des Reisens in den Nahen Osten ist keine gute Alternative; denn damit würden die Reisenden nur die Menschen vor Ort boykottieren. Mehr denn je sind informierte Kunden gefragt, die als Reisende ihr Recht einfordern und die Anbieter ermuntern, sich den Forderungen der Bereisten auszusetzen, die Vermeidungsstrategien aufzugeben und das Völkerrecht zu achten. Das wird nicht möglich sein, ohne bewusst neue Reiseprogramme zu entwickeln und zu erproben. Dann kann Reisen helfen, eine andere, friedlichere Zukunft möglich zu machen.

Vortragsangebot zu Israel und Palästina

Während der 35. Ökumenischen Friedensdekade im November, die unter dem Motto „Grenzerfahrung“ stattfindet, wird Andreas Kuntz in Deutschland unterwegs sein und vom 8. bis 23. November für Begegnungen und Informationsveranstaltungen zur Verfügung stehen. Unter dem Titel „Mut zur Begegnung“ erzählt er von seinen aufregenden und spannenden Erfahrungen und Begegnungen, die er in den vergangenen fünf Jahren in Israel und Palästina gesammelt hat. Wir freuen uns, wenn Sie Andreas Kuntz zu sich einladen möchten.

Anfragen und Terminvereinbarungen bitte an Dagmar Helmig, helmig@forumZFD.de 

Notiz aus „Magazin forum ZFD“, 3/2015, S. 12

Andreas F. Kuntz ist beurlaubter Pfarrer der Evangelischen Kirche der Pfalz und zur Zeit als Fachkraft für Friedens- und Konfliktarbeit im Zivilen Friedensdienst entsandt. Im Jerusalemer Büro des Forum Ziviler Friedensdienst (forumZFD) e.V. ist er zuständig für die Arbeit über die Konfliktlinien hinweg. Wichtigster Partner ist die binationale Bewegung „Combatants for Peace“. Der Artikel erschien in gekürzter Fassung in MAGAZIN forumZFD 3/2015.#

Jericho ist ein beliebtes Ziel auf vielen Bildungs- und Pilgerreisen ins Heilige Land. Hier heilte und rastete Jesus, als er nach Jerusalem pilgerte. Hier soll der Prophet Josua die berühmte Prozession der biblischen Israeliten um eine feindliche Stadt herum angeführt haben. Heute besuchen Reisende mit Jericho auch ein Städtchen in den besetzten palästinensischen Gebieten, das mit vielen Sehenswürdigkeiten aufwarten kann. Obwohl das Reisen ungefährlich ist, bleibt es meistens bei einer Stippvisite. Der staubige Hügel mit vielen übereinander liegenden Schichten der ältesten Kulturen der Menschheit, einen der am längsten besiedelten Orte der Welt, ist meistens ein Muss im Reiseprogramm. Pilger besuchen vielleicht eine der vielen Kirchen, die an berühmte Propheten oder an den christlichen Messias Jesus erinnern. Touristen fahren mit der Gondelbahn oder erkunden die Überreste eines der Winterpaläste, darunter den islamischen Palast mit einem Mosaik von überwältigender Schönheit.

Die palästinensischen Einwohner Jerichos sind wie überall in Palästina sehr gastfreundlich. Wie sehr diese Gastfreundlichkeit Augen und Herzen für die Realität des Zusammenlebens öffnen kann, beschreibt ein ehemaliger israelischer Soldat [1] sehr eindrücklich. So frei, wie dieser Soldat zu Beginn der Ersten Intifada den Tourismus erlebt hat, ist er allerdings nicht mehr. Heute sind die meisten Einwohner vom Nutzen des Tourismus ausgeschlossen. Lokale Kartelle arbeiten mit dem internationalen Tourismus Hand in Hand und bestimmen, wie Besuchergruppen die Sehenswürdigkeiten erleben und wo sie ihr Geld ausgeben. Die Einwohner Jerichos haben keinen Zugang zu den Touristen. Mit Glück und Beziehungen bekommen sie billige Arbeitsplätze. Oft ist den Reisenden gar nicht bewusst, dass sie mit ihrem Besuch gerade diese Strukturen auch noch verstärken.

Mit neu ausgebildeten Tour Guides, wie hier die einheimischen Reiseleiter heißen, hat das forumZFD Büro in Jericho 2013 ein Projekt durchgeführt. Richtschnur war dabei „Richte keinen Schaden an“. Die Tour Guides nannten sich jetzt „Jericho Guides“ und setzten sich neue Ziele. Sie planten Touren in der Oase und untersuchten, wie diese Touren gestaltet werden können, ohne dass sie Ungerechtigkeit und Konflikte verstärken. Auch Erklärungen aus palästinensischer Perspektive wurden getestet. Wichtig war dabei, Alternativen zu diskriminierenden oder konflikt-verschärfenden Erklärungsmustern zu entwickeln. Das forumZFD unterstützte die Tour Guides dabei in der Anwendung der Methodik aus der zivilen Konfliktbearbeitung.

Bei der Erkundung der eigenen Heimat fiel den „Jericho Guides“ deutlicher als im Alltag auf, dass sich verschiedenste Bevölkerungsgruppen im Laufe der Zeit in der Oase angesiedelt haben. Eine Fahrradtour zu den Quellen der Oase führt entlang der Kanäle auch durch das Dorf Nuwei’meh, dessen Bewohner sich auf die Nubier, ein Volk am Nil, zurückführen. Für Issa Abu Rahmeh liegt es nahe, dort eine Rast einzulegen und die Gäste beispielsweise bei einer Begegnung mit der Frauenkooperative zu begleiten: „Wir Palästinenser sind unterschiedlicher, als es von außen den Anschein hat. Das ist unsere kulturelle Vielfalt.“

Die „Jericho Guides“ entwickelten ihre Touren nach dem Motto „das Mosaik des Zusammenlebens aufdecken“, ein Hinweis auf die zahlreichen Mosaiken in den öffentlichen Bauten der spätrömischen und frühislamischen Zeit und ihrer Vielfalt, aber auch ein Hinweis auf die Vielfalt heute. Außerdem bieten sie einen Spaziergang zu den ökologischen Herausforderungen und Fahrradtouren durch die Gemeinden der Oase an. Die moderne Wasserverteilung in der Oase ist konfliktträchtig und hat ökologische Folgen. Diese Konflikte, aber auch die Besatzung und ihre Auswirkungen werden nicht verschwiegen.

Normalerweise spielen kritische Informationen und authentische Begegnungen bei den Besuchen in Jericho keine Rolle, obwohl manche Jericho auch die „Oase des Friedens“ nennen. Viel eher hören die Gäste Geschichten, die ihnen einen kalten Schauer den Rücken hinunter laufen lassen. Die vom grausamen Herrscher Herodes ist geradezu klassisch: Die führenden Männer judäischer Ortschaften – so erzählt es Flavius Josephus [2] – werden im königlichen Stadion für Wagenrennen versammelt; sie sollen im Falle des Ablebens des Herrschers getötet werden und damit für Trauer im Land sorgen. Hinzu kommt eine berühmte biblische Geschichte: Der perfekte Prophet Josua führt eine Prozession der biblischen Israeliten um die feindliche Stadt Jericho und den anschließenden Massenmord an. Kann so etwas im Namen des Glaubens geschehen sein? Dafür haben die Ausgräber trotz intensiver Suche keinerlei Hinweise finden können. [3] Im Glauben an eine wörtliche Wahrheit der Bibel wird oft überlesen, dass Josua selbst derjenige ist, der die Alternative in diesem Streit um den Umgang mit Andersgläubigen aufzeigt: Er führt einen Friedensvertrag durch, der auf dem Zusammenleben der Bewohner der Oase beruht. Viele Generationen später, zur Zeit des Zweiten Tempels, wissen sowohl die Bewohner des Landes, als auch die Autoren dieser Geschichte vom Friedensvertrag darum, dass sie mit Anderen in der Oase leben, und das mit Recht. [4]

Was heißt eigentlich konflikt-sensibel? Den einheimischen Bewohnern der Oase so begegnen, dass auch sie Einkommen generieren können, faire Preise für ihre Produkte und faire Bezahlung für ihre Arbeit erhalten. Konflikt-sensibel wären auch Lernerfahrungen der Reisenden, die nicht auf reißerische Effekte, sondern auf das Erleben der Gastgebenden und ihrer Kultur, ihrer täglichen Herausforderungen und auch ihrer Hoffnungen Wert legt. Konflikt-sensibel ist es, Geschichten von Gewalt nicht zu betonen, sondern wenn, dann aus der Perspektive der Sanftmütigen zu erzählen. Konflikt-sensibel ist es auch, ein Verständnis dafür entwickeln zu können, dass die Besatzung eben gerade keine „normale“ Situation ist, sondern von einer Struktur der Gewalt geprägt ist.

Worauf können Reisende achten, wenn sie nach Palästina und Israel reisen wollen? Es ist nicht leicht abzuschätzen, was die jeweils angebotene Reise an Didaktik, an bewusster Darstellung des Konflikts und sozialer Verantwortung bietet. Die oberflächliche Beschreibung einer konventionellen Reisephilosophie, die zu knappe Zeiteinteilung und die zu große Menge der besuchten Orte sind indirekte Indikatoren für wenig Sensibilität für die Situation vor Ort. Ein gesundes Maß an Begegnungen, etwa eine pro Tag, deuten eventuell auf Qualität hin. Zur Zeit gibt es weder eine Zertifizierung für fairen Tourismus noch für konflikt-sensiblen Tourismus. Daher kommt es immer noch auf die Initiative der Reisenden an. Der Dar Al-Kalima Förderverein hat mehrfach gezeigt, wie eine Reise auf die Begegnung mit den Zivilgesellschaften ausgerichtet werden und zu Aktivitäten der Heimgekehrten führen kann.

Was fordern Einheimische an Fairness und Verantwortung ein? Verschiedene Kirchen haben Empfehlungen ausgesprochen, etwa kirchliche Gästehäuser und Gottesdienstbesuche zu Begegnungen mit Einheimischen zu nutzen. Katholische Hilfsorganisationen im Heiligen Land haben kürzlich mit Unterstützung des Zivilen Friedensdienstes einen Ratschlag für Touristen und Pilgernde gleichermaßen formuliert. [5] Die Palästinensische Initiative für verantwortlichen Tourismus (PIRT) hat einen Kodex aufgestellt, der als Richtlinie dienen kann. Im „Reisehandbuch Palästina“ der Alternative Tourism Group (ATG) finden sich Hinweise auf Begegnungsmöglichkeiten. [6]

Israelische Aktivisten wie das Komitee gegen Hauszerstörungen (ICAHD) führen Touren [7]durch, die Auswirkungen der Gewaltstrukturen zeigen. Interreligiöses Lernen bietet der Interreligiöse Koordinierungsrat Israel [8] an, das Haus des Reformjudentums in Israel Touren[9] zur Vielfalt in Jerusalem. Erste Versuche eines nachhaltigen oder ländlichen Tourismus in Palästina finden sich bei Abrahams Pfad [10] oder dem Nativity Trail [11]. Für Pilger hat die ökumenische Initiative Kairos Palästina Richtlinien in der (englischen) Broschüre „Come and See“ [12] zusammengestellt. Tourism Watch – Brot für die Welt und Misereor haben in einer ausführlichen Broschüre Orientierungen für faires, begegnungsorientiertes Pilgern in Israel und den palästinensischen Gebieten unter Berücksichtigung des Völkerrechts zusammengestellt. [13]

Sie haben schon gebucht? Sagen Sie ihrem Anbieter, was Sie erwarten und erhoffen: Begegnungen mit Einheimischen, angeleitete Reflexion des Erlebten und eine konflikt-sensible Begleitung der Reise. Fair bemessene Zeit und faire Inanspruchnahme von Dienstleistungen in den besetzten palästinensischen Gebieten sollten selbstverständlich sein. Nur so verstehen Veranstalter, dass ihre Kunden darauf wirklich Wert legen; denn üblich ist eine konflikt-sensible Darstellung des Konfliktes oder der Geschichten vom Zusammenleben noch nicht. Auch Besuche von Sehenswürdigkeiten in den besetzten palästinensischen Gebieten sind wegen der Komplexität der Situation und des organisatorischen Aufwandes leider nicht die Regel.

Worauf können Veranstalter und Gruppenverantwortliche achten, wenn sie eine Reise planen?

Weniger Sehenswürdigkeiten in das Reiseprogramm stopfen, dafür mehr Begegnung und mehr Zeit für Reflexion einplanen. Dazu gehört auch die Wertschätzung für die Anstrengung der einheimischen Partner, in einer Konfliktsituation und in den besetzten palästinensischen Gebieten die Reise und eine gute Reiseleitung möglich zu machen. Legen die Veranstalter ihren Produkten ernsthaft die Sorgfalt für Menschenrechte, internationales Völkerrecht und soziale Verantwortung zu Grunde, werden die Reisen anders aussehen. Konventionelle Reisen werden sich dann als „Business as usual“ erweisen. [14] Die völkerrechtliche Komplexität wird meistens nicht angesprochen. Die Situation erscheint dann als unveränderlich und die Besucher schreiben die Möglichkeiten von Veränderung ab, und im Grunde auch die Menschen in Israel und Palästina mit ihren zivilgesellschaftlichen Ambitionen. Damit trägt die Reise zur Verschärfung der Konfliktsituation bei. Als Übergangslösung bietet es sich an, mit Aktiven aus der palästinensischen und israelischen Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten, die Tagestouren anbieten. Wichtiger wäre es allerdings, langfristig auch das Reisen zu verändern und von Grund auf konflikt-sensibel zu gestalten.

Bedenken müssen die Verantwortlichen auch, dass die Moderation einer von den Emotionen, Informationen und Eindrücken her anspruchsvollen Reise echte Friedensarbeit ist: Der Kontakt zur Konfliktsituation alleine fördert nicht automatisch die Arbeit für den Frieden. Das durchaus mutige Sich-Aussetzen einer ungerechten Situation gegenüber führt oft genug zu Enttäuschung. Eine entsprechende Fortbildung beim Veranstalter wie auch der deutschen Begleitung der Reisen bringt sicherlich Früchte für die Unternehmensverantwortung, am allermeisten aber für die Reisenden, die informiert zurückkehren möchten.

Eine nachhaltige Veränderung können ausländische Veranstalter nur durch einen geduldigen Dialog mit ihren Geschäftspartnern vor Ort erreichen, in dem es darum geht, mehr Gerechtigkeit für die Bereisten, mehr Begegnung mit Einheimischen und mehr Weiterbildung für einheimische Reiseleiter umzusetzen. Innerhalb der Geschäftsbeziehung müssen konkrete Schritte vereinbart und beobachtet werden. Ein kompletter Stopp des Reisens in den Nahen Osten ist keine gute Alternative; denn damit würden die Reisenden nur die Menschen vor Ort boykottieren. Mehr denn je sind informierte Kunden gefragt, die als Reisende ihr Recht einfordern und die Anbieter ermuntern, sich den Forderungen der Bereisten auszusetzen, die Vermeidungsstrategien aufzugeben und das Völkerrecht zu achten. Das wird nicht möglich sein, ohne bewusst neue Reiseprogramme zu entwickeln und zu erproben. Dann kann Reisen helfen, eine andere, friedlichere Zukunft möglich zu machen.

Vortragsangebot zu Israel und Palästina

Während der 35. Ökumenischen Friedensdekade im November, die unter dem Motto „Grenzerfahrung“ stattfindet, wird Andreas Kuntz in Deutschland unterwegs sein und vom 8. bis 23. November für Begegnungen und Informationsveranstaltungen zur Verfügung stehen. Unter dem Titel „Mut zur Begegnung“ erzählt er von seinen aufregenden und spannenden Erfahrungen und Begegnungen, die er in den vergangenen fünf Jahren in Israel und Palästina gesammelt hat. Wir freuen uns, wenn Sie Andreas Kuntz zu sich einladen möchten.

Anfragen und Terminvereinbarungen bitte an Dagmar Helmig, helmig@forumZFD.de 

Notiz aus „Magazin forum ZFD“, 3/2015, S. 12Andreas F. Kuntz ist beurlaubter Pfarrer der Evangelischen Kirche der Pfalz und zur Zeit als Fachkraft für Friedens- und Konfliktarbeit im Zivilen Friedensdienst entsandt. Im Jerusalemer Büro des Forum Ziviler Friedensdienst (forumZFD) e.V. ist er zuständig für die Arbeit über die Konfliktlinien hinweg. Wichtigster Partner ist die binationale Bewegung „Combatants for Peace“. Der Artikel erschien in gekürzter Fassung in MAGAZIN forumZFD 3/2015.

[1]   Hillel Bardin ist aktives Mitglied der „Combatants for Peace“, siehe http://cfpeace.org/personal-stories/hillel-bardin/[2]   De Bello Iudaico 1,659[3]   Siehe dazu beispielsweise Finlestein, Israel; Silbermann, Neil Asher, Keine Posaunen vor Jericho. Die archäologische Wahrheit über die Bibel, München 2002.[4]   Siehe dazu. Knauf, Ernst-Axel, Josua (Zürcher Bibelkommentare, AT 6), Zürich 2008, S. 68-73.[5]   http://ccao.info[6]   Alternative Tourism Group, Palästina Reisehandbuch, Heidelberg 2013[7]   www.icahd.org/tours[8]   http://icci.org.il/interfaith-tours[9]   www.beitshmuel.com/en-us/jerusalem-tours[10]   www.masaribrahim.ps/ und www.sirajcenter.org[11]   http://atg.ps/programs/nativity-trail[12]   Guidelines for Christians – „Come and See“: www.kairospalestine.ps[13]   Brot für die Welt (Tourism Watch) und Misereor: www.tourism-watch.de/content/neue-broschuere-tipps-zum-pilgern-im-heiligen-land[14]   Fischer, Susanne, Religious Tourism – Business for Peace in the Holy Land? In: Winterstein, Werner/ Wohlmutter, Cordula (Hg.), International Handbook on Tourism and Peace, Klagenfurt/ Celovec 2014, S. 120-142.
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